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Ein Stadtteil mit Perspektiven

Tüfteln, forschen, Geld verdienen: Die Wissenschaftsstadt Adlershof ist längst zum Selbstläufer geworden. Schon jetzt arbeiten oder studieren hier rund 20.000 Menschen. Und hinterm Solarpark wachsen klimaschonende Einfamilienhäuser in die Höhe

FRISCHE GLEISE

In der kommenden Woche beginnt rund um Adlershof die heiße Phase für die Gleiserneuerung und den Bahnhofsneubau. 33 Millionen Euro will die Deutsche Bahn AG dabei allein in den Umbau der Brücken über die Rudower Chaussee und des S-Bahnhofs Adlershof investieren. Barrierefrei und behindertengerecht soll der S-Bahnhof werden. Dazu soll ihm ein „innovatives Farb- und Lichtkonzept“ verpasst werden, das zur Wissenschaftsstadt passe. Gravierendster Nachteil der Arbeiten: unruhige Nächte für die AnwohnerInnen. Denn zeitweilige Nacht- und Wochenendarbeiten seien unvermeidlich, so die Bahn AG. Immerhin: Das Unternehmen bittet um Verständnis. TAZ

VON RICHARD ROTHER

Wer Adlershof auf dem Fahrrad, mit dem Auto oder der Straßenbahn von Köpenick aus ansteuert, reibt sich verwundert die Augen: Das hier – die staubige Dörpfeldstraße mit Ramschläden und Dönerbuden, die schon morgens voller Biertrinker sind –, das soll Berlins Zukunfts-Stadtteil sein, der auf halbem Weg zwischen dem künftigen Großflughafen in Schönefeld und der Innenstadt liegt? Passiert man aber die Brücke unter den Bahngleisen am S-Bahnhof Adlershof, ändert sich das Bild schlagartig: Studenten eilen über die Rudower Chaussee in Richtung Campus, geschniegelte Geschäftsleute suchen hektisch einen Parkplatz für ihren Geländewagen, und bärtige Tüftlertypen treten bei Dunkelgelb nochmal schnell in die Pedale.

Das ist das Adlershof, mit dem sich die Hauptstadt gerne nach außen repräsentiert: Wirtschaft, Wissenschaft, Hochschule – manch einem unter der Marke „Wista“ geläufig. Ein sperriger Begriff, den die Adlershofer gar nicht mehr so gern hören. „Wissta wat, wissta nüscht“, scherzt einer, der hier arbeitet. „Wir sind einfach Adlershof – eine einzigartige Mischung aus Uni-Campus, Unternehmen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen.“ Mit dem Adlershof jenseits des Bahndamms möchte man in der „Stadt für Wissenschaft, Wirtschaft und Medien“, wie sich der Stadtteil selbst nennt, offenbar nichts zu tun haben. Im bunten Übersichtsplan erscheint der Dörpfeldstraßenkiez als graue Fläche.

Das Technologie-Areal ist riesig, aber noch längst sind nicht alle Flächen genutzt. Das Gelände reicht vom Teltowkanal im Süden bis nach Johannisthal im Norden, von der Autobahn A 113 im Westen bis zum Adlergestell beziehungsweise Bahndamm im Osten. Mittendrin sitzt Peter Strunk in einem schick sanierten 30er-Jahre-Bau. Von seinem Büro aus blickt der Wista-Pressesprecher stolz auf das lebendige Treiben auf der Rudower Chaussee, der Hauptstraße des Quartiers. „Adlershof ist der ernsthafte Versuch der Reindustrialisierung Berlins.“ Hier entstehe wieder Industrie – eine wissensbasierte Industrie. Seit 1991 sind rund 1,4 Milliarden Euro an Investitionen geflossen.

In den rund 750 Adlershofer Unternehmen und Forschungseinrichtungen arbeiten derzeit knapp 13.000 Menschen, Tendenz steigend. Zählt man die über 1.000 Azubis und die über 6.000 Studenten hinzu, gehen hier mehr als 20.000 Menschen einer Beschäftigung nach. 1,3 Milliarden Euro Umsatz erzielten die Firmen und Institute im vergangenen Jahr, eine Steigerung von 8 Prozent zum Vorjahr. „Wo haben Sie in Berlin noch solche Wachstumsraten?“, fragt Strunk.

Wachstum durch Sonne

Einer der größten Ansiedlungserfolge der Adlershofer ist die Solarfirma Solon, die im nächsten Jahr ihre Produktion von Neukölln nach Adlershof verlegt und ausbaut. Solon stellt Solarmodule her und bietet Photovoltaiksysteme für Großkraftwerke an. Seit 2004 ist die Firma schon mit einer Projektierungs- und Planungsabteilung in Adlershof vertreten. Ausschlaggebend für die Standortentscheidung pro Adlershof war unter anderem die enge Zusammenarbeit mit den ansässigen Forschungseinrichtungen. Im vergangenen Jahr hatte das Unternehmen nach eigenen Angaben seinen weltweiten Umsatz um mehr als 70 Prozent steigern können, in diesem Jahr soll das Wachstum moderater sein.

Einer, der nicht nur zum Erfolg von Adlershof, sondern auch zur Rettung des Weltklimas beiträgt, ist Helge Riemann. Am Institut für Kristallzüchtung, das sich schon zu DDR-Zeiten mit der Züchtung von Silizium beschäftigte, forscht er an einem ganz besonderen Silizium-Kristall – einem viereckigen. Normalerweise wächst Silizium, das für Solarzellen verwendet wird, zylindrisch. Um Solarzellen herzustellen, werden aus diesen runden Kristallen viereckige herausgeschnitten. Entsprechend groß ist der Abfall an dem teuren Grundstoff, was den Preis der Solarzelle und damit den des Solarstroms in die Höhe treibt. „Die Chancen des Solarstroms stehen und fallen mit den Kosten“, weiß Riemann. „Jedes Prozent Einsparung zählt.“ Die Vision: Ließen sich Solarzellen mit Hilfe des „viereckigen Siliziums“ günstiger herstellen, könnte es insgesamt mehr Solarstrom geben – und klimaschädliche Kohlekraftwerke könnten ersetzt werden.

Der Clou beim „viereckigen Silizium“: Baut sich der Kristall viereckig auf, braucht hinterher weniger weggeschnitten zu werden, um Solarzellen zu bauen. In der Umsetzung ist das allerdings schwierig. Normalerweise rotiert der Kristall bei der Züchtung, dadurch entsteht die zylindrische Form. Riemann, der schon zu DDR-Zeiten am Institut war, und seine Kollegen haben herausgefunden, dass der Kristall auch ohne Rotation wachsen kann. Ist das Temperaturfeld, in dem der Kristall wächst, nicht rund, sondern quadratisch, ergibt sich die viereckige Form des Kristalls. Allerdings sind noch eine Reihe technischer Probleme zu lösen.

Seit anderthalb Jahren läuft das Projekt, insgesamt sind drei Jahre angesetzt. Anschließend hofft Riemann, der mit einer Handvoll Mitarbeiter dieses Projekt durchführt, das Verfahren seinem Partner aus der Industrie übergeben zu können. Einige hunderttausend Euro sind für das Projekt vorgesehen. Riemann: „Um Gutes zu tun, braucht man nicht viel Geld.“

Sparsame Traumhäuser

Geld einnehmen will dagegen Ute Hübener. Die Immobilienmanagerin verkauft Grundstücke für Eigenheime, die am Rande des neuen Adlershofer Landschaftsparks liegen. Einige der neuen Häuser sind als besonders energiesparend konzipiert, etwa die des bekannten Baugruppenprojekts „Lebenstraum“. „Adlershof ist ein Standort für Familien“, so Hübener. Von 350 Grundstücken seien schon 320 verkauft, bis zum Sommer dürfte der Rest weggehen. „Der Traum vieler Familien ist ein frei stehendes Einfamilienhaus.“ Die Käufer kämen allerdings aus allen Bezirken der Stadt. „Diejenigen, die hier in Adlershof arbeiten, sind erst spät auf den Trichter gekommen.“

Wer am Rande der Eigenheimsiedlung steht, kann sich gut vorstellen, welche Attraktivität Adlershof künftig haben kann: Ratterten nicht permanent Baufahrzeuge vorbei, wäre es hier – mitten in der Großstadt – vergleichsweise ruhig. Gen Süden schweift der Blick weit über den offenen Landschaftspark, in dessen Mitte ein erhöhter Holzbohlengang um ein Naturschutzgebiet führt, das für Menschen gesperrt ist. Natur pur. Und nur ein paar hundert Meter weiter erforschen tausende Menschen, was die Welt im Innersten zusammenhält. Das ist Adlershof.

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