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„Spitzenleistung nur mit Zuzahlung“

Michael Balke, ehemaliger Transplantationspatient des Essener Medizinprofessors Christoph Broelsch und Finanzrichter am niedersächsischen Finanzgericht, hält die Spendenpraxis am Essener Klinikum für angemessen

MICHAEL BALKE, 52, Richter am niedersächsischen Finanzgericht, ehemaliger Patient von Christoph Broelsch

taz: Herr Balke, dem Mediziner Christoph Broelsch wird vorgeworfen, Kassenpatienten nur gegen eine Spende bevorzugt behandelt zu haben. Sind diese Vorwürfe gerechtfertigt?

Michael Balke: Absolut nicht. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass wir in Deutschland mindestens eine Zwei-Klassenmedizin haben. Entsprechend kann ein Kassenpatient eine Chefarzt-Behandlung einkaufen, genau wie die Vorzugsbehandlung durch die Bereitstellung eines Einbettzimmers. Dass eine besondere Leistung mit einer Sonderzahlung auf ein Konto der Klinik belohnt wird, daran kann ich nichts Verwerfliches finden.

FDP-Wissenschaftsminister Andreas Pinkwart hat dem Mediziner mit einer Suspendierung gedroht, sollte sich die Spendenpraxis als wahr herausstellen.

Unanständig, dass Pinkwart den Mediziner so öffentlich an den Pranger stellt. Anstatt die Vorgänge in Ruhe zu prüfen, wendet sich der Minister direkt an die Presse und spricht eine Vorverurteilung aus. Dabei hatte Pinkwart Herrn Broelsch noch nicht einmal angehört. So ist die Politik, sie erschafft ein bestimmtes Gesundheitswesen und stellt dann anschließend dessen Folgen an den Pranger.

Viele Menschen regen sich darüber auf, dass Kassenpatienten sich eine Behandlung erkaufen können, statt wie andere geduldig zu warten.

Wenn ich höre, dass es sich dabei um Spenden zwischen 5.000 und 7.500 Euro gehandelt haben soll, die auf ein Klinik-Konto für wissenschaftliche Zwecke geflossen sind, ist das für die verlangte Chefarzt-OP-Leistung doch vergleichsweise günstig. Ich würde im Zweifel – wenn es um Leben oder Tod geht – Haus und Hof verkaufen, um eine einzigartige medizinische Spitzenleistung zu bekommen. Letztlich sind es doch die Privatpatienten, die mit ihren hohen Zahlungen und Großspenden an die Kliniken die Kosten für viele Kassenpatienten, die von der Beitragspflicht befreit sind, mittragen.

Der Anwalt einer der Betroffenen argumentiert, seine Mandantin sei in einer Dortmunder Klinik mit einem inoperablen Tumor entlassen worden, in Broelsch‘s Klinik aber erfolglos operiert worden. Er verlangt das an die Essener Klinik gespendete Geld zurück. Was halten Sie davon?

Abenteuerlich, diese Argumentation. Tatsache ist, das viele der Patienten, die auf eine Operation in der Essener Klinik warten, an anderen Krankenhäusern aufgegeben oder gar nicht erst angenommen worden sind. Für viele Patienten ist Professor Broelsch die letzte Hoffnung. Die Vorstellung, dass es medizinische Spitzenleistung immer ohne Zuzahlung gibt, geht an der Wirklichkeit vorbei.

Verfahren in Essen

Gegen Christoph Broelsch, Transplanteur am Klinikum Essen wird ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Das teilten die Klinik und Uni gestern mit. Broelsch habe das Verfahren selbst beantragt. Er hatte zuvor erklärt, darauf zu verzichten, bei Transplantations-Patienten um Spenden für das Klinikum zu werben. Allerdings liegt das Disziplinarverfahren schon wieder auf Eis: Weil die Staatsanwaltschaft ermittelt, wird das Dienstverfahren vorläufig ausgesetzt. KOK

Ist es nicht pervers, dass ich mir mit Geld eine Leistung erkaufen kann, die ich sonst als Kassenpatient nicht bekomme?

Nein. Wenn Sie mit dem ICE fahren und die zweite Klasse voll belegt ist, ist es doch auch angemessen, wenn man sich in der ersten Klasse nach einer Zuzahlung niederlässt. Darüber regt sich doch auch niemand auf.INTERVIEW: ELMAR KOK

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