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„Wir brauchen die Währungsunion 2.0“

EUROKRISE Aus „Angst vor den Stammtischen“ gehe die Bundesregierung das Problem zu mutlos an, sagt Regierungsberater Peter Bofinger. Er plädiert für ein gemeinsames europäisches Schatzamt

Peter Bofinger

■ 56, ist Professor für Ökonomie an der Uni Würzburg und Mitglied im Sachverständigenrat für Wirtschaft, der die Regierung berät.

INTERVIEW HANNES KOCH

taz: Herr Bofinger, Europas Regierungen verhandeln über ein neues Rettungspaket mit Krediten für Griechenland. Betrachten Sie die gegenwärtige Schuldenkrise mit Pessimismus oder auch etwas Hoffnung?

Peter Bofinger: Ich bin enttäuscht. Es fehlt an europäischer Solidarität. Die nationalen Egoismen und kurzfristigen Eigeninteressen überwiegen.

Machen Sie diesen Vorwurf auch der Bundesregierung?

Ja, der Regierung fehlt der Mut. Sie stellt nicht konsequent in den Mittelpunkt, was Deutschlands eigentliches Motiv sein sollte: ein stabiles Europa mit einer funktionsfähigen Währungsunion. Beides sind Quellen unseres Wohlstands. Frühere Kanzler haben anders gehandelt und sich weniger daran orientiert, was gerade populär war. Helmut Schmidt setzte sich für die Nachrüstung ein, Helmut Kohl für den Euro und Gerhard Schröder für die Sozialreformen.

Warum halten Kanzlerin Angela Merkel oder Bundespräsident Christian Wulff keine große Rede an die Bürger, in der sie für Europa werben?

Weil sie Angst haben vor den Stammtischen. Viele Bürger denken ja, die Griechen würden auf der faulen Haut liegen und unser Geld verprassen, während wir uns einschränken. Diese irrige Annahme verstärkt die Bundesregierung, indem sie das wachsende griechische Defizit betont. Stattdessen müssten Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble der deutschen Bevölkerung sagen, dass die griechische Regierung wirklich spart und versucht, das Ruder herumzureißen.

Müsste uns die Bundesregierung reinen Wein einschenken und erklären, dass Europa doch teurer wird, als wir immer angenommen haben?

Wir stehen an einer Weggabelung. So wie die Währungsunion jetzt beschaffen ist, hat sie keine Zukunft. Entweder die europäischen Staaten kehren zurück zu ihren nationalen Währungen oder sie treiben die Integration voran. Auch ich habe früher unterschätzt, welches Maß an politischer Kooperation für das Funktionieren der Währungsunion offenbar notwendig ist.

Mit anderen Worten: Die Deutschen sollen mehr für andere Länder der Eurozone haften und mehr zahlen als heute?

Nein. Wir brauchen eine Währungsunion 2.0. Das heißt, wir sollten ein gemeinsames europäisches Schatzamt gründen, das Staatsanleihen für die gesamte Eurozone herausgibt. Im Gegenzug dazu benötigen wir eine stärkere Kontrolle über die nationalen Haushalte. Sie könnte beispielsweise darin bestehen, dass Länder, deren Verschuldung 80 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung übersteigt, was etwa dem aktuellen deutschen Niveau entspricht, ihren Haushalt vom EU-Parlament genehmigen lassen müssen. Verstößt ein Staat gegen die Sparauflagen des Parlaments, sollte er die Eurozone in letzter Konsequenz verlassen.

Worin bestünde der Vorteil dieser europäischen Staatsanleihen?

Bei den Eurobonds der Mitgliedsländer gäbe es keinen Unterschied mehr zwischen griechischen, italienischen oder auch deutschen Papieren. Die Investoren auf den Kapitalmärkten könnten nicht mehr unterscheiden, wem sie ihr Geld leihen. Damit wäre ihnen auch die Möglichkeit genommen, die Zinsen einzelner Länder in die Höhe zu treiben und gegen sie zu spekulieren. Auf diese Weise würde die Politik dafür sorgen, dass sie den Märkten gegenüber wieder das Heft das Handelns übernimmt. Insbesondere könnte man auf diese Weise verhindern, dass nicht bald auch noch Länder wie Spanien und Italien in den Strudel der Schuldenkrise geraten.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sperrt sich gegen die Reduzierung der griechischen Schulden. Ist die Belastung Athens nicht längst viel zu groß?

Das Land ist mit dem Anderthalbfachen seiner Wirtschaftsleistung verschuldet. Um diese Kredite zu bedienen, wären Einnahmeüberschüsse des Staates notwendig, die Griechenland in den kommenden Jahren realistischerweise kaum erreichen kann. Deshalb halte ich es für notwendig, die Schulden um etwa 40 Prozent zu verringern.

Auch deutsche Banken müssten dann den Wert der griechischen Anleihen in ihren Bilanzen entsprechend senken. Wäre das nicht der Auslöser der nächsten Rezession?

Das Volumen griechischer Anleihen bei deutschen Banken ist vergleichsweise gering. Die teilweise Abschreibung bedeutet deshalb keine große Gefahr. Im Auge behalten müssen wir aber den möglichen Dominoeffekt. Wenn Griechenland einen Teil seiner Schulden streicht, würden die Investoren befürchten, dass dies anderen Staaten ebenfalls droht. Auch hier aber würden die gemeinsamen europäischen Anleihen helfen.

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