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Widerstand gegen grünes Ja

GRÜNE Energieexperten kritisieren den Realokurs der Parteispitze und fordern Änderungen. Der Parteivorstand warnt vor Außenwirkung einer Ablehnung

Ein Nein zum Atomgesetz wirkt wie „parteipolitisches Klein-Klein“, so der Vorstand

AUS BERLIN ULRICH SCHULTE

Keine Frage wird bei den Grünen im Moment emotionaler diskutiert: Darf die Partei dem Atomausstieg der Regierung zustimmen? Kurz vor dem Grünen-Sonderparteitag formieren sich jetzt innerparteiliche Kritiker. Sie geißeln den Kurs der Parteispitze, der Atomgesetznovelle zuzustimmen, als zahnlos und wollen deren Leitantrag mit weitgehenden Änderungen torpedieren.

„Ich werde dem Vorschlag des Parteivorstands, das Atomgesetz der Regierung mitzutragen, nicht zustimmen“, sagte am Mittwoch Matthias Schneider, der Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Energie. „Und die übergroße Mehrheit in der Partei sieht das genauso.“ Die BAG Energie ist ein Gremium, das rund 50 Energieexperten aus den Landesverbänden versammelt und Vorstand wie Partei berät. In ihrem Änderungsantrag heißt es: Das Enddatum des Ausstiegs dürfe nicht 2022 sein – wie es Schwarz-Gelb plant und die Grünen-Spitze mittragen will.

Ein Ausstieg 2017, den die Grünen noch im März beschlossen haben, sei technisch und rechtlich machbar, schreiben die Experten weiter: „Diesem Datum muss die Bundesregierung entgegenkommen.“ Die Grüne Jugend wird auf dem Parteitag ebenfalls für diese Position werben. Die strittige Atomgesetznovelle sei „inakzeptabel und nicht zustimmungsfähig“, heißt es in einem eigenen Änderungsantrag.

Am Samstag werden 800 Grünen-Delegierte auf einem Sonderparteitag über den Kurs der Partei in der Ausstiegsfrage entscheiden. Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke sagte am Mittwoch, es gebe drei richtige Aspekte in der Atomgesetznovelle: die Sofortabschaltung der acht ältesten Meiler, die Rücknahme der Laufzeitverlängerung und feste Abschaltdaten für die anderen AKWs. Es gebe einen breiten Konsens bei den Grünen, die anderen sieben Gesetze des schwarz-gelben Pakets abzulehnen. Der Parteitag werde entscheiden, ob die Grünen ihre Unterschrift unter die „Bankrotterklärung einer jahrzehntelangen verfehlten Energiepolitik“ setzen.

Am Samstag wird es nicht nur um die symbolträchtige Zustimmung zu dem Zeitplan des Ausstiegs gehen. So fordern mehrere Anträge die Verankerung des Ausstiegs im Grundgesetz und strengere Sicherheitsauflagen für AKWs. Eine 2003 vom damaligen Umweltminister Jürgen Trittin initiierte Neubewertung der Anforderungen müsse per Gesetz umgesetzt werden.

Die Grünen-Spitze wirbt weiter für ihr differenziertes „Ja, aber“ zum schwarz-gelben Paket. Welche Überlegungen dabei eine Rolle spielen, zeigt ein Papier des Parteivorstands, das über alle Kreisverbände an die Mitglieder geschickt wurde. Eine grüne Ablehnung der Sofortabschaltung und der Rücknahme der Laufzeitverlängerung wäre „gesellschaftlich schwer zu vermitteln“, heißt es in dem Schreiben, das der taz vorliegt. „Wir erleben jetzt schon, dass eine Ablehnung als parteipolitisches Klein-Klein wahrgenommen wird.“Außerdem führt der Vorstand die Bindungswirkung einer Zustimmung an. Eine weitere 180-Grad-Wende sei für die Regierungskoalition „auch unter veränderten Bedingungen dann nicht mehr vermittelbar“. Zudem mache eine Zustimmung „die Niederlage von Merkel und den Atomkonzernen perfekt“.

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