: Wahlurne boykottiert
Nur noch 27 Prozent der Wahlberechtigten haben sich an der Landratswahl in Minden-Lübbecke beteiligt. NRW-Landesregierung sieht keinen Negativtrend. „Mehr Demokratie“: Kein Alarmzeichen
VON MARTIN TEIGELER
Regierung, Opposition und Bürgerrechtler reagieren gelassen auf die dramatisch niedrige Wahlbeteiligung bei der Landratswahl in Minden-Lübbecke. „Die Wahlbeteiligungen bei Nachwahlen für Bürgermeister oder Landräte in den vergangenen Jahren lassen keinen Trend zur Abnahme der Wahlbeteiligung erkennen“, sagte eine Sprecherin des NRW-Innenministeriums. „Das ist kein Alarmzeichen“, sagte Thorsten Sterk vom Verein „Mehr Demokratie“. Niedrige Wahlbeteiligungen seien kein Problem. „Das ist nicht schön – darf aber nicht zur Abschaffung der Stichwahlen führen“, sagte die grüne Landtagsabgeordnete Monika Düker.
Die Wählerinnen und Wähler im Kreis Minden-Lübbecke hatten am Wochenende einen historischen Rekord in Nordrhein-Westfalen aufgestellt. Nur 27,2 Prozent der 260.000 Wahlberechtigten in Ostwestfalen beteiligten sich an der Stichwahl für einen neuen Landrat. Im ersten Wahlgang vor zwei Wochen waren auch nur 32,8 Prozent der Bürger im „Mühlenkreis“ an die Wahlurne gegangen.
Mit dem Ergebnis aus Minden setzt sich eine Abwärtsentwicklung bei Wahlen in Nordrhein-Westfalen fort. So war die Beteiligung bei den Landrats-Nachwahlen im münsterländischen Kreis Warendorf im Herbst 2006 mit 32,7 Prozent ebenfalls gering ausgefallen. Eine Sprecherin des Düsseldorfer Innenministeriums will allerdings keine Negativentwicklung sehen: „Die Zahlen schwanken insgesamt sehr.“
Der in Minden-Lübbecke mit 53 Prozent siegreiche neue Landrat Ralf Niermann richtete einen Appell an die schwarz-gelbe Landesregierung in Düsseldorf: „Die Koalition muss aus diesem Ergebnis ihre Konsequenzen ziehen und die neue Gemeindeordnung stoppen“, sagte der SPD-Politiker und bisherige Berater von Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck zur taz. Die NRW-Koalition solle von ihrem Vorhaben Abstand nehmen, die Bürgermeister-, Landrats- und Stadtparlamentswahlen zeitlich zu entkoppeln. „Dadurch entstehen noch mehr Wahltermine mit noch geringerer Wahlbeteiligung“, sagte Niermann.
Diese These unterstützte der Politikwissenschaftler Christian Mackenrodt von der Uni Duisburg-Essen: „Es hat sich gezeigt, dass bei gleichzeitig stattfindenden Wahlen die Wahlbeteiligung etwas höher ist. Mehrere Wahltermine bergen die Gefahr die Wahlmüdigkeit der Bürger zu verstärken.“ Die Bürger scheinen sich wenig für Kommunalpolitik zu interessieren und gingen deswegen nicht wählen, so der Politikforscher. Zudem schwinde in der Bevölkerung die früher noch verbreitete Meinung, es sei eine Pflicht zu wählen.
Die grüne Innenexpertin Monika Düker forderte eine verbesserte politische Bildung im Land: „Der Wert der Demokratie muss vielen Menschen besser erklärt werden.“ Da müsse die Politik auch in NRW selbstkritisch sein. Politikverdrossenheit sei leider ein Dauerthema.
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