: Die Hand, die in den Osten winkt
AUSSTELLUNG Vor dem Fall der Mauer reiste die schwedische Fotografin Ann-Christine Jansson von Westberlin in den Ostteil der Stadt. Ihre Einblicke in den oppositionellen Alltag sind nun in der Zionskirche zu sehen
VON ANN-CHRISTINE JANSSON
Diese Hand. Ich wartete im Auto, bis sie plötzlich und nur ganz kurz erschien und winkte, routiniert, kalt und streng. Ihr Winken war keine freundliche Einladung, es war ein Befehl: Jetzt vorfahren! Am Schalter sah ich kaum das Gesicht, das zu der Hand gehörte und überlegte zugleich: Werden die mich durchsuchen?
Ohne meinen Beruf zu verraten, bin ich über den Ausländergrenzübergang Checkpoint Charlie gefahren und habe an Treffen und Demonstrationen der ostdeutschen Opposition teilgenommen – und fotografiert: ihre Betroffenheit und ihren Mut, der zum Zusammenbruch der DDR beigetragen hat.
Sie protestierten gegen gefälschte Wahlergebnisse, Zensur, Repression, Reiseverbot und Umweltzerstörung. Sie riskierten viel, zwar nicht ihr Leben, aber sehr wohl ein Leben in Sicherheit. So wurden die Mitglieder der Ostberliner Umweltbibliothek vom Ministerium für Staatssicherheit überwacht, schikaniert, verfolgt und verhaftet, weil sie in einem Keller im Gemeindehaus der Zionskirche Flugblätter und Zeitschriften über die verheerende Umweltverschmutzung in der DDR druckten und verbreiteten.
Das war in der DDR illegal. Sie brachen damit die Mauer des Schweigens der Behörden und der Medien über das riesige Ausmaß des Waldsterbens, den Chemieabfall in Bitterfeld, einem der damals am stärksten verseuchten Orte Europas, und die Luftverschmutzung durch das Braunkohlekraftwerk in Espenhain, südlich von Leipzig.
Porträts von Mitgliedern der Opposition habe ich selten gemacht, da immer die Gefahr bestand, dass die Filme beschlagnahmt werden. Wenn, dann oft im Gegenlicht.
Vor Mitternacht musste ich die DDR verlassen. Zurück nach Westberlin – mit den belichteten Filmen. Wieder diese Hand …
■ „Radikal persönlich“ mit Fotografien von Ann-Christine Jansson ist bis 30. November in der Zionskirche, Zionskirchplatz, 10119 Berlin-Mitte zu sehen. Di. 15–17 Uhr, Mi.–Sa. 14–19 Uhr, So 11–17 Uhr
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