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Kein Empfang

SENSIBEL Strahlt ein Handy in ihrer Nähe, schmerzt Heike Keuser der ganze Körper. So sehr, dass sie sich versteckt. Ein Besuch im Funkloch hinter den Metallvorhängen

VON MIRJAM SCHMITT

Oberelz liegt in einer Senke, umgeben von Hügeln und Wald in der Vulkaneifel. Gerade mal 120 Einwohner leben hier. Autos fahren kaum, vor den Sechziger-Jahre-Häusern zieren Plastikstühle den Vorgarten. Der Handyempfang ist schwach in Oberelz – doch genau deshalb ist Heike Keuser im Januar hierher gezogen.

Die zierliche 44-Jährige sitzt neben ihrem Mann am Esszimmertisch und schaut auf eine graue Mauer, die ihre Terrasse umgibt. Die Haustür hat sie mit einem weißen Vorhang verhängt. „Der Nachbar hat ein schnurloses Telefon“, erklärt sie, „ich kann die Strahlung im Haus spüren. Der Vorhang hält sie einigermaßen ab, weil dort Metallfäden eingewebt sind.“

Heike Keuser schirmt sich von der Welt ab. Sie hält ihre Strahlung nicht mehr aus.

Seit 15 Jahren leidet sie unter Multipler Sklerose. Sie ist gelernte Heilpraktikerin, doch zum Arbeiten fehlt ihr schon lange die Kraft in den Händen. Es ist nicht nur die Krankheit, die ihr Leben so stark einschränkt. Es sind auch Mobilfunknetze und WLAN-Router. Seit acht Jahren reagiert ihr Körper darauf – auf hochfrequente elektromagnetische Strahlung.

Alles wird taub und kalt

In Monreal, dem alten Wohnort der Keusers – etwa zehn Kilometer entfernt – hatte alles angefangen: Als die Familie sich ein schnurloses Telefon anschaffte, lag Heike Keuser plötzlich nächtelang wach, hatte Schmerzen in Armen und Beinen, ihr Herz raste. Mehr und mehr bekam sie auch außerhalb des Hauses Schmerzen. „Irgendwann habe ich gemerkt, dass es was mit Handys zu tun hatte, wenn es mir schlechter ging“, erinnert sie sich. Sie begann, ihren Tagesablauf so zu planen, dass sie Strahlenquellen umgehen konnte. Doch je mehr sich WLAN und Handys ausbreiteten, desto größer wurden ihre Schmerzen.

„Das ist, als würde ein stumpfer Gegenstand ständig und in sehr, sehr kurzen Abständen gegen meine Nerven schlagen“, sagt Heike Keuser und überlegt kurz. Sie möchte alles möglichst genau beschreiben. Sie weiß, dass das, was sie spürt, für andere unglaublich klingt. „Es hört nie auf“, sagt Keuser, „alles wird taub und kalt. Ich fühle mich wie eingeschnürt, der Rumpf, der Brustkorb, die Gliedmaßen. Die Muskeln krampfen, die Kraft nimmt ab.“

Dass das, was Keuser fühlt, tatsächlich etwas mit Elektrosmog zu tun hat, ist umstritten: Zwar bezeichnen sich laut dem Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) rund 6 Prozent der Deutschen als „elektrosensibel“ – die Betroffenen klagen meist über Kopfschmerzen oder Schlafstörungen, sobald sie sich in der Nähe von Handys oder WLAN-Netzen aufhalten. Jedoch in einer Studie hat das BfS zwischen 2002 und 2008 die gesundheitlichen Auswirkungen der Mobilfunk- und WLAN-Strahlung untersucht. Ergebnis: „Nach derzeitigem wissenschaftlichen Kenntnisstand sind keine gesundheitliche Beeinträchtigungen durch die hochfrequente Strahlung des Mobilfunks zu befürchten, wenn die Grenzwerte eingehalten werden“, sagt Anja Schulte-Lutz, Sprecherin des BfS.

Heike Keuser spürt die Strahlen trotzdem. Draußen scheint die Sonne, doch Keuser dringt nicht einmal bis zu ihrer Terrasse vor. Die Vorhänge machen das Esszimmer dämmrig. Aus Angst vor Strahlen hält sich Keuser fast nur noch im Haus auf. Dennoch ist ihr Blick lebhaft, die dunklen Augen wandern ständig herum. Wenn sie spricht, schaut sie einen eindringlich an.

„Spinne ich?“

Im September 2008 ging es Keuser plötzlich schlechter. Mit einem Messgerät stellten sie und ihr Mann fest, dass der Mobilfunkmast am Rande des Dorfes mit einer zusätzlichen Frequenz aufgerüstet wurde. Ein Anruf bei der Betreibergesellschaft bestätigte: Neben D1 kam mit O2 ein zweiter Mobilfunkanbieter hinzu. Heike Keuser begann bei Freunden zu übernachten.

Für Ulrich Frick ist der Fall klar: Schmerzen wie die von Keuser sind psychosomatisch. Frick ist Professor für Public Health an der Fachhochschule Kärnten und war an der Studie im Auftrag des BfS beteiligt. „Ein Zusammenhang zwischen subjektiv empfundener Elektrosensibilität und elektromagnetischen Feldern, wie durch Handys, lässt sich nach wie vor nicht nachweisen“, erklärt er.

„Manchmal habe ich mich selbst gefragt: Kann das alles sein oder spinne ich?“, sagt Keuser. Auch Freunde und Bekannte zweifelten. Manche gingen so weit, sie zu testen. „Sie haben heimlich ihre Handys angemacht und gewartet, ob ich was sage“, erzählt Keuser. Sie lächelt bitter. Anfangs habe sie versucht, die Schmerzen auszuhalten – sie traute sich nicht, sich zu beschweren. „Inzwischen bitte ich die Leute sofort, ihre Handys wieder auszuschalten. Sonst glaubt mir ja nie jemand.“

Das Herz schlägt höher

Mit dem Vorwurf, sich alles nur einzubilden, hat Heike Keuser immer wieder zu kämpfen. Doch es gibt ja auch Lebrecht von Klitzing. Der Umweltphysiker konnte Heike Keuser die Schmerzen bestätigen. Er ist Chef des Instituts für umweltphysikalische Messungen in Wiesenthal, forscht dort zur Elektrosensibilität. Von Klitzing hat ein Messverfahren entwickelt, das die Auswirkungen der Strahlung von Menschen testen soll. Er setzt Elektrosensible einer Strahlung aus, ohne dass sie wissen, wann genau das passiert. Dabei misst er unter anderem, wie sich deren Herzschlag verändert. „Die Herzschlagrate von Heike Keuser nahm unter Strahlung deutlich zu“, sagt er. Er habe bei ihr außerdem Spasmen registriert, also krampfartige Zustände des Muskelsystems an der Hautoberfläche. „Gerade Menschen mit Vorerkrankungen leiden häufiger unter Beschwerden aufgrund von Strahlung, wie die des Mobilfunks“, erklärt von Klitzing. Durch die Vorerkrankung seien sie schmerzempfindlicher und reagierten auf Dinge, die andere gar nicht wahrnehmen.

Frick bezweifelt Studien wie die von Lebrecht von Klitzing. Sie seien nicht aussagekräftig: Veränderungen wie eine erhöhte Herzschlagrate könnten von allem Möglichen herrühren. Er empfiehlt den Betroffenen, an sogenannten kognitiven Bewältigungstrainings teilzunehmen – einer Art Verhaltenstherapie –, um mit den Symptomen besser zurechtzukommen.

Metallplatten am Haus

Von Verhaltenstherapien hält Keuser jedoch nichts. Sie ärgert sich über so einen Vorschlag, will nicht als verrückt abgestempelt werden. Sie will, dass man ihre Krankheit, Elektrosensibilität, akzeptiert.

„Niemand lebt freiwillig so“, sagt sie und guckt um sich, in den dämmrigen Raum hinein. In Oberelz kann Heike Keuser zwar wieder durchschlafen, doch ein normales Leben führt sie nicht. Auf Elternabende geht der Vater. Familienfeste? Nur, wenn alle die Handys ausschalten, das WLAN ausstöpseln. Städte sind für Heike Keuser tabu, ihre Familie besucht sie nie. An Urlaub ist gar nicht zu denken. „Das tut schon weh, vor allem, weil es die Kinder betrifft“, sagt sie und seufzt.

Der Umzug nach Oberelz war auch für Sohn und Tochter der Keusers nicht einfach. Sie verkauften ihr Haus in Monreal, die Kinder wechselten die Schule, die Freunde blieben dort.

Nun bauen die Keusers dort ein altes Haus um. Rainer Keuser ist Architekt und will seiner Frau einen strahlungsfreien Raum schaffen: Metallmatten, die die Strahlung abschirmen, kommen direkt auf den Putz, er plant Aluminiumfensterrahmen und eine Raumbelüftung, damit seine Frau zur Not die Fenster geschlossen halten kann. Das Grundstück hinter der Baustelle haben die Keusers gleich mit gekauft. So kann dort kein anderes Haus gebaut werden, niemand hinziehen, der doch wieder eine Strahlungsquelle verursacht.

Psychosomatisch oder tatsächlich elektrosensibel – Heike Keuser hat Schmerzen.

Um sie zu vermeiden, wird sie sich weiter verstecken.

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