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Faschisten am Ball

Als erster Verein in der Fußball-Bundesliga zeigt der Hamburger SV in einer Ausstellung im Vereins-museum, wie sich Funktionäre und Mitglieder in der Zeit des Nationalsozialismus verhalten haben

von Ralf Lorenzen

Durch die großen Fenster des HSV-Restaurants „Raute“ sehen die Besucher gerade, wie Lehmann, Frings und Klose zu ihrem Abschlusstraining vor dem Länderspiel gegen die Slowakei in die AOL-Arena einlaufen. Doch bei diesem Besuch wird ihr Blick von der Nationalmannschaft zurückgelenkt in die „dunkelste“ Zeit der deutschen Geschichte, wie Redner den Nationalsozialismus gerne bezeichnen. Als Museumsleiter Dirk Mansen die Gäste erstmals mit in die Ausstellung „Die Raute unter dem Hakenkreuz – der HSV im Nationalsozialismus“ nimmt, ist er doppelt erleichtert. Zum einen, weil die Informationstafeln, die eine Stunde vor der ersten Führung noch am Boden lagen, endlich hängen. Und noch viel mehr, „weil wir die Geschichte des HSV jetzt endlich lückenlos dokumentiert zeigen können“.

Die Sonderausstellung besteht aus 120 Exponaten, die hauptsächlich in einem eigenen Raum innerhalb des HSV-Museums untergebracht sind. Zu einem kleinen Teil aber ergänzen sie auch die allgemeine Ausstellung dort, wo es inhaltlich sinnvoll ist, wie zum Beispiel bei den HSV-Legenden. Sie ist in die fünf Abteilungen Machtergreifung, Alltag, Verfolgung, Krieg, Nachkriegszeit gegliedert, die aus jeweils zwei großen Infotafeln sowie ergänzenden Texten, Exponaten und Originaldokumenten bestehen. Außerdem berichten Zeitzeugen in Video-Interviews über ihre Erlebnisse im Nationalsozialismus.

Einer von ihnen, der 1923 geborene Unternehmer Oscar Algner ist zur Ausstellungseröffnung gekommen. „Als der HSV 1940 aufgefordert wurde, alle Juden sofort auszuschließen, hat mein Vater in einer Versammlung im Curio-Haus widersprochen. Daraufhin rief mich der Sportjournalist ‚Heia‘ Hase in der Kaserne in Wentorf an und sagte ‚Mensch Junior! Bring den Alten zur Räson.‘“ Trotz vereinzelter couragierter Funktionäre wie Oscar Algner Senior nahm auch der HSV ab 1933 keine Juden mehr auf. Auf der anderen Seite halfen noch im Juli 1935 jüdische Spender dem Verein aus der finanziellen Krise.

Aufgrund seiner Lage am Rothenbaum hatte der HSV einen mehr als doppelt so hohen Anteil jüdischer Mitglieder, denn in den Wohnvierteln Harvestehude, Grindel und Eppendorf lebten besonders viele Juden. So erinnert die Ausstellung auch an das Schicksal der später ermordeten jüdischen Mitglieder, wie des in Altona geborenen Norbert Prenzlau und dessen Frau Olga, die einst für das Club-Haus an der Rothenbaumchaussee Einrichtungsgegenstände gestiftet hatten.

Neu in die Abteilung der HSV-Legenden in der bestehenden Ausstellung ist eine Person mit Pappfigur und Info-Tafel gerückt, die dem HSV keinesfalls zu Ruhm verholfen hat. Otto Fritz Harder, genannt „Tull“, war bis in die späten 20er Jahre ein HSV-Idol. Bereits am 1. September 1931 trat er in die NSDAP ein und wenig später in die SS. Er gehörte unter anderem zum Wachpersonal in Neuengamme und brachte es dort bis zum Leiter des KZ-Außenlagers in Hannover-Ahlem. 1947 wurde er im Curio-Haus von den britischen Besatzern zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt, die später auf zehn Jahre reduziert wurden. Tatsächlich kam er bereits 1951 wieder frei.

Als Harder 1956 starb, wurde sein Sarg mit einer HSV-Flagge bedeckt, und die HSV-Nachrichten schrieben ihm einem Nachruf: „Nun ist er nicht mehr; aber unsere Gedanken werden noch oft bei ihm weilen und den schönen Stunden gedenken, der er uns bereitet hat.“

Wie eng Täter- und Opferschaft in der Nazizeit mitunter zusammenhingen, zeigt das Schicksal des HSV-Präsidenten beziehungsweise „Vereinsführers“ Emil Martens. Noch auf der Jahreshauptversammlung 1933 rühmte er sich, der HSV habe „schon 1928 als einziger Verein das Führerprinzip bei uns durchgeführt und uns abgewandt vom System der Veilredner und Besserwisser“. 1936 wurde er homosexueller Handlungen beschuldigt und in den Folgejahren mehrfach inhaftiert. Erst 1944 kam er frei – nach Kastration und Haft in der Sicherheitsverwahrung.

„Wir haben keine Bewertung versucht, ob der HSV sich besser oder schlechter verhalten hat als andere“, sagt Vereinspräsident Bernd Hoffmann bei der Eröffnung. Diese Bewertung fällt auch dem Besucher schwer. Wie bei vielen ähnlichen historischen Aufarbeitungen von Firmen oder Vereinen ergibt sich mitunter der Eindruck, der Faschismus sei von außen hereingebrochen und nicht auch im Inneren der Zivilgesellschaft entstanden.

Das große Verdienst dieser Ausstellung ist es sicher, dass der HSV mit ihr als erster großer Fußball-Club Deutschlands das Verhalten von Mitgliedern und Funktionären vor, während und nach der Nazi-Zeit in vielen Schattierungen dokumentiert: vom vorauseilenden Gehorsam, über das Handlangertum bis zur Zivilcourage. „Von Widerstand kann man dabei nicht reden, sonst gäbe es den HSV wohl nicht mehr.“ Trotz dieses Befundes von Dirk Mansen gab es auf keiner Ebene des Vereins Widerstände gegen die Aufarbeitung. „Im Gegenteil, wir sind gebeten worden, alles offenzulegen.“

bis 31. 8. 2008 im HSV-Museum in der AOL-Arena. Geöffnet täglich von 10 bis 20 Uhr (letzter Einlass 19 Uhr); Eintritt: 6 Euro, ermäßigt 4 Euro

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