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Jeder ist ein Don Quijote

IN DER JVA Peter Atanassow, langjähriger Regisseur von aufBruch, ist diesmal mit Cervantes zu den Gefangenen gekommen. Ein Spiel mit der Täuschung

Die Sonne brennt unerbittlich auf den spärlichen Rasen. Zwei Männer verteilen Sonnenblenden. Wir warten auf die Schauspieler. Eine Stunde kann sehr lang sein ohne Handy. Die einzige Lektüre hier ist das Programmheft. Alles andere mussten wir draußen lassen.

Ein Abend im Gefängnistheater aufBruch ist kein gewöhnlicher Theaterabend. In zwei Bankreihen schaut das Publikum auf die leere Bühne im Freiganghof der JVA Tegel. Die Zuschauer sind ihrerseits Gegenstand der Betrachtung: Hinter vergitterten Fenstern tauchen Gesichter auf, einige Männer rufen und pfeifen. Kurz vor sechs Uhr sind die Bänke bis auf den letzten Platz gefüllt.

Unter der Regie von Peter Atanassow spielt das aufBruch „Don Quichote“, eine szenische Collage nach dem Roman von Miguel de Cervantes. Was auf den ersten Blick aussieht wie eine Aneinanderreihung der bekanntesten Romanmotive – etwa die Verkennung einer Marienstatue für eine entführte Prinzessin, die Schafherden, die der Ritter von der traurigen Gestalt für kämpfende Heere hält –, entpuppt sich als subtiler Kommentar der Inhaftierten auf ihre Situation im Gefängnis, als Auseinandersetzung mit dem gesellschaftlichen Stigma als Kriminelle. Die Zuschauer werden immer wieder daran erinnert, dass die Bühne mit der stilisierten Windmühle und den Containerwänden von Gefängnismauern umgeben ist. Manchmal geschieht das augenzwinkernd, etwa wenn Sancho Pansa seinen Freunden erzählt, dass er mit Don Quijote auf Reisen geht. „Ich würd auch gern abhauen“, sagt dann einer.

Hinter Mauern gezaubert

Weitsichtiger ist eine andere Szene: Don Quijote weist auf die Mauern ringsherum und glaubt sich in einem verzauberten Schloss. Er versteht die Welt nicht, die nach Regeln zu funktionieren scheint, die ihm unbekannt sind. Immer wieder entwickeln sich Dinge anders, als er erwartet hat. Hinter allem steckt, so glaubt der Ritter, ein böser Zauberer, dessen Willkür er schutzlos ausgeliefert ist. Auch Don Quijote ist ein Gefangener – wenngleich das Gefängnis des Ritters keine realen Mauern hat.

Einmal ist der Ritter wirklich eingesperrt. Die Angehörigen locken ihn mit einer List zurück nach Hause, wo er wie ein psychisch Kranker bewacht wird – oder eben wie ein Gefangener. Als der Herzog ihn zu sich einladen will, mauern seine Pfleger: „Eine Verlegung käme der Verletzung unserer Sorgfaltspflicht gleich“, heißt es in lapidarem Amtsdeutsch, das die Schauspieler wahrscheinlich zur Genüge kennen.

Die beiden Hauptrollen sind mehrfach besetzt, je nach Szene wechseln die Darsteller. Das hat System, sagt Volker Ullmann, der manchmal den Don Quijote spielt. „Im Gefängnis hat man einen Querschnitt durch alle Ausbildungsschichten“, meint er. Die sollten auch in der Inszenierung repräsentiert werden. „Egal, welchen Beruf man hat, der Gefängnisalltag ist für niemanden leicht. Jeder kann sich wie Don Quijote fühlen.“

Achteinhalb Wochen haben die 19 Häftlinge geprobt – in ihrer Freizeit, neben der Arbeit in den Gefängnisbetrieben. Das Publikum belohnt diese Anstrengungen mit frenetischem Beifall. Egal aus welchen Gründen diese Schauspieler im Gefängnis sitzen: Im Theater bewahren sie sich ihre Würde und ihre Menschlichkeit. KRISTINA RATH

■ Weitere Vorstellungen: 6., 8., 13. und 15. Juli, 18 Uhr. Karten: Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Die Karten sind nur im Vorverkauf mit persönlicher Anmeldung erhältlich, spätestens 5 Tage vor der jeweiligen Vorstellung

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