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„Die Palästinenser sind brutalisiert worden“

Der palästinensische Psychiater Eyad al-Sarraj sucht nach den Gründen für den Bruderkrieg seines Volkes

EYAD AL SARRAJ ist Psychiater und gründete das Community Mental Health Programme in Gaza.

taz: Herr Sarraj, wie ist momentan die Lage in Gaza?

Eyad al-Sarraj: Es ist so gefährlich, dass sich kaum jemand auf die Straße traut. Mein Sohn ist eineinhalb Jahre alt. Wir haben ihn seit vier Tagen nicht gesehen. Er ist bei seinen Großeltern, die kaum einen Kilometer von uns entfernt wohnen. Mit Hilfe von Nachbarn haben wir es geschafft, ihm Milch zu schicken. Es wird so viel geschossen, dass wir überrascht sind, wie es mit so viel Gewehren und Munition nicht möglich war, die israelische Besatzung zu besiegen.

Jedes Mal wenn sich die Führungen der Hamas und der Fatah gerade über einen Waffenstillstand geeinigt haben, gibt es erneute Gefechte. Haben sie keine Kontrolle mehr über die bewaffneten Truppen?

Unsere Führungen sind die kleinen Spieler in der Tragödie. Sie haben keinerlei Macht, irgendwelche Entscheidungen zu treffen. Die eigentlichen Drahtzieher sitzen in Washington und in Teheran. Die Amerikaner und die Iraner kämpfen ihren Krieg in Palästina und im Libanon, ohne sich selbst die Hände schmutzig zu machen.

Dann halten Sie die US-Hilfe für die Truppen von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas für falsch?

Die US-Regierung hat alle Hoffnung auf Frieden zerstört, seit die Hamas an der Regierung ist. Die USA haben jetzt Iran in der Schusslinie. Beide Seiten geben Geld, das ist ganz klar. Der Iran kämpft über die Hisbollah, über die Fatah al-Islam im Libanon und über den Islamischen Dschihad und die Hamas hier. Ich habe Vertretern beider Seiten vorgeschlagen, Verhandlungen unter Beteiligung der USA und Iran in Kairo aufzunehmen, aber dazu wird es nicht kommen. So sterben die Leute hier auf der Straße.

Der ägyptische Vermittler General Burhan Hamas berief Vertreter beider Seiten zu sich. Sehen Sie noch Hoffnung auf einen erfolgreichen Waffenstillstand?

Burhan gab gerade ein Fernsehinterview. Er sagte, dass er mit dem Volk, mit den Menschen zusammen gegen die Gewalt demonstrieren will. Er war so verzweifelt, dass ihm die Tränen in den Augen standen. Das ist der Mann, von dem wir eine Lösung erwarten.

Die Gewalt macht nicht halt vor Frauen und Kindern. Woher rührt dieser enorme Hass unter den palästinensischen Volksgenossen?

Wir haben eine Ebene der Unmenschlichkeit erreicht, die wir bisher nicht kannten. Leute, die einen Menschen bei lebendigem Leib von dem Dach eines Hochhauses stoßen oder andere, die in ein Krankenhaus gehen, um Verwundete zu erschießen. Das palästinensische Volk ist durch die jahrzehntelange Besatzung so brutalisiert worden. Wir haben in unserem Zentrum Gewalt- und Traumastudien vorgenommen. Es gibt kaum noch jemanden im Gaza-Streifen, der unbelastet ist. Dazu kommt, dass wir besiegt wurden. Die Leute suchen jetzt nach anderen Feinden, schwächeren, die sie besiegen können. Wenn schon nicht Israel, dann wenigstens die Hamas oder die Fatah oder einen Angehörigen einer verfeindeten Familie. Die Gewalt wurde über Jahre und Generationen genährt.

INTERVIEW: SUSANNE KNAUL

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