: „Grundeinkommen ist kein Ausweg“
Freiwillig, wie sie betont, hat Annelie Buntenbach im Oktober 2002 die grüne Bundestagsfraktion verlassen – nach dem Streit um die deutsche Beteiligung im Kosovo-Krieg. Im November 2002 wurde die heute 52-Jährige Leiterin der Abteilung Sozialpolitik der Gewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt. Im Mai 2006 rückte sie in den Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbunds DGB auf. Dort betreut sie die Bereiche Arbeit, Alterssicherung und Gesundheit. Buntenbach, die den Grünen noch heute angehört, hat in Bielefeld Geschichte und Philosophie studiert. WYP
INTERVIEW ANNIKA JOERES und ANDREAS WYPUTTA
taz: Frau Buntenbach, Sie haben die Bundestagsfraktion der Grünen im Jahre 2002 im Streit verlassen. Heute reden Sie auf deren Landesparteitag. Ist das ein Pflichttermin für Sie als Gewerkschafterin?
Annelie Buntenbach: Ich bin froh, dass die Grünen auf ihrem Landesparteitag an prominenter Stelle über den Sozialstaat reden. Darüber, wie wir der Spaltung der Gesellschaft entgegenwirken können. Dafür war lange Zeit kaum Raum. Dazu leiste ich als Gewerkschafterin gern einen Beitrag.
Sie haben aber doch ein gebrochenes Verhältnis zu den Grünen. Wegen der deutschen Beteiligung am Kosovo-Krieg sind Sie 2002 auf Distanz zur Partei gegangen. Heute werden Sie als Hauptrednerin gefeiert und gelobt.
Natürlich hat es einen besonderen Reiz für mich, in der alten Arena in neuer Funktion aufzutreten. Und in dieser Funktion ist es ja auch eine Premiere. Ich habe mich aber durchaus auch nach meiner Bundestagszeit noch in die Grünen-Politik eingemischt, zum Beispiel, als es um die Agenda 2010 ging. Aber leider hat auch da die Parteitagsmehrheit anders entschieden.
Damals hatten Sie keine Mehrheiten. Jetzt schwenken die Grünen in NRW Jahre nach Ihnen persönlich auf Ihren Kurs ein. Eine Bestätigung für Sie?
War mir bisher gar nicht so klar, dass alle auf mich gehört haben! Aber Spaß beiseite: Für so geschichtsmächtig halte ich mich nicht – und bin es auch nicht, wenn man sich die bisherigen Beschlüsse anschaut.
Trotzdem sagen die Grünen in NRW jetzt, sie hätten die Hartz-Gesetze schon immer kritisiert. Die wären durch eine große Koalition im Bundesrat entstanden.
Die Grünen müssen sich schon mit ihrer Mitverantwortung für die Hartz-Gesetze auseinander setzen. Die CDU war zwar über den Bundesrat beteiligt, aber die Grünen waren an der Regierung und haben das mit unterstützt. Es gab zwar auch Kritik, besonders bei der Zumutbarkeit. Aber man kann die eigene Rolle bei Hartz IV nicht einfach unter den Tisch kehren, besonders dann nicht, wenn man wieder Glaubwürdigkeit gewinnen und in Zukunft eine andere Politik machen will.
Würden Sie sagen, dass die Hartz-Gesetze der sozialpolitische Sündenfall der Grünen waren?
Ich mag solche Vorher-Nachher-Bilder nicht, schließlich war vor den Hartz-Gesetzen in der sozial- und arbeitsmarktpolitischen Welt der Grünen auch nicht alles paradiesisch. Diese Gesetze sind ja nicht vom Himmel gefallen. Hartz IV ist ein tiefer Einschnitt ins System gewesen und zum Symbol für die Angst vor dem sozialen Abstieg geworden.
Die Grüne Jugend kritisiert, dass selbst die linken Grünen keinen Systemwechsel fordern, sondern nur die Hartz-Gesetze ein bisschen entschärfen wollen: mehr Geld, mehr Schonvermögen, kein Arbeitszwang. Verstehen Sie diese Kritik?
Verstehen kann ich die Grüne Jugend durchaus. Je schlechter die Wirklichkeit aussieht, mit der man sich herumschlagen muss, um so leuchtender strahlt die Utopie. Nur teile ich ihre Schlußfolgerungen nicht.
Die Grüne Jugend schlägt vor, ein Grundeinkommen einzuführen.
Das ist für mich kein Ausweg. Ich glaube, dass wir auf einem solchen Weg weit mehr Verluste als Gewinne in Sachen sozialer Gerechtigkeit machen würden. So nachvollziehbar ich zum Beispiel finde, dass man von Millionen von Bedürftigkeitsprüfungen weg will, von Verfahren und Lebensbedingungen, wie das Arbeitslosengeld II sie vielfach gebracht hat, die mit Menschenwürde und Bürgerrechten nicht zusammengehen, so wenig kann ich mich mit der Idee anfreunden, dass beim Grundeinkommen über einen Schutz vor Armut diskutiert wird und dabei viele Vorschläge trotzdem noch unter Hartz-IV-Niveau liegen. Ob und wie es weiter, etwa über Sozialversicherungen, Schutz im Fall von Krankheit und Alter geben soll, bleibt unklar. Ich glaube, dass wir mit dem Grundeinkommen ein Fass für Arbeitgebersubventionen aufmachen würden. Die könnten dann von den Löhnen, die sie zur Existenzsicherung zahlen müssen, erst einmal das Grundeinkommen abziehen, so eine Art Kombilohn für alle. Außerdem stellt sich die Frage, wer die Steuern bezahlt, die hier in großem Maßstab umverteilt werden sollen. Bis jetzt haben die Besserverdienenden und die Arbeitgeber davon ja nicht gerade den Löwenanteil aufgebracht.
Also teilen Sie die Position des grünen Landesvorstandes, der Hartz verbessern will?
Wir brauchen echte Verbesserungen bei der sozialen Absicherung, wenn man arbeitslos wird. Von 345 Euro kann niemand leben. Wenn Schulkinder nicht einmal das Geld für Schulbücher, die neuen Turnschuhe oder einen Malkasten haben, ist das schlicht ein Skandal. Aus gewerkschaftlicher Sicht ist auch die Frage der Zumutbarkeit entscheidend. So wie das jetzt beim Arbeitslosengeld II geregelt ist, heißt das Zwang zu schlechter bezahlter Arbeit auch unter Tarif und außerhalb der Sozialversicherung. Damit wird die Notsituation von Menschen missbraucht, um noch halbwegs abgesicherte Beschäftigungsbereiche aufzubrechen. Und dann gibt es noch nicht einmal einen Mindestlohn, weil die CDU hier eine vernünftige Regelung blockiert.
Grundsätzlich glauben Sie aber auch daran, dass Menschen über Arbeit in die Gesellschaft integriert werden?
Ja. Menschen entwickeln gemeinsam die Gesellschaft über Arbeit weiter. Nur wird bei weitem nicht jede sinnvolle Arbeit bezahlt.
Auf einer taz-Veranstaltung zur Armut wurde Nordrhein-Westfalens DGB-Chef Guntram Schneider von Arbeitslosen angegriffen – die Gewerkschaften hätten sie vergessen, hätten nichts gegen Hartz getan.
Gerade die Auseinandersetzung mit Hartz IV und den gesellschaftlichen Folgen hat in den Gewerkschaften eine Menge bewegt. Wie wichtig die Qualität der Absicherung bei Jobverlust ist , ist greifbarer geworden – sie geht alle an. Schließlich sitzen bei Tarifverhandlungen nicht nur die kampfstarken Belegschaften am Tisch, sondern praktisch auch die hohe Arbeitslosigkeit und die Angst der Kollegen vor ihr. Wir müssen Arbeitslose und prekär Beschäftigte noch stärker in unsere Reihen holen und mit ihnen gemeinsam die Interessen vertreten.
Heute treffen sich Nordrhein-Westfalens Grüne in der Bochumer Jahrhunderthalle zu ihrem Landesparteitag. Das im grünen Parteisprech Landesdelegiertenkonferenz genannte Treffen soll inhaltliche Schwerpunkte in den Bereichen soziale Grundsicherung, Klimaschutz und Kindertagesbetreuung setzen. Außerdem will sich der größte Landesverband der Grünen mit den Bundeswehreinsätzen in Afghanistan beschäftigen. Wichtige personelle Entscheidungen stehen hingegen nicht an: Die beiden Landesvorsitzenden Daniela Schneckenburger und Arndt Klocke müssen sich wie der restliche Landesvorstand erst im kommenden Jahr zur Wiederwahl stellen. Eröffnet wird der Parteitag um 11 Uhr von der grünen Bundesparteichefin Claudia Roth. Als Gastrednerinnen treten DGB-Bundesvorstand Annelie Buntenbach und Ursula Sladek, Geschäftsführerin des Ökostromanbieters Elektrizitätswerk Schönau, auf. Diskutiert wird dann der Leitantrag des Landesvorstands: „Für einen Neuaufbruch in der Sozialpolitik“. Darin wird eine Erhöhung der sozialen Grundsicherung auf mindestens 900 Euro im Monat wie auch der Ausbau des staatlich geförderten zweiten Arbeitsmarkts gefordert. WYP
Auf dem Parteitag werden auch die Afghanistan-Einsätze der Bundeswehr diskutiert. Auch hier fordern die NRW-Grünen nun „politische Maßnahmen“. Freut Sie die späte Einsicht?
Immer, aber gegen den Kriegseinsatz hilft es jetzt ja leider nicht mehr so viel.
Auf dem entscheidenden Parteitag zum Kosovokrieg 1999 flogen Farbbeutel, die Stimmung war aufgeheizt. Wenn Sie heute auf frühere Parteifreunde treffen, reden Sie dann noch über Krieg und Frieden oder ist diese Auseinandersetzung gelaufen?
Sicher reden wir auch darüber.
Sie hegen keinen Groll?
Was heißt hier Groll? Es geht hier doch nicht um Fragen der Ehre oder der persönlichen Beleidigung. Natürlich hätte ich mir die Entscheidung sehr dringend anders gewünscht und bin darüber nach wie vor keineswegs glücklich. Aber ich komme doch heute nicht als Menetekel der Vergangenheit zum Landesparteitag.
In der Frage von Krieg und Frieden steht doch die Linkspartei ihrem Pazifismus näher als die Grünen.
Annelie Buntenbach ist eine der Hauptrednerinnen auf dem heutigen Landesparteitag der Grünen in Bochum. Dort wie vorab im Gespräch mit der taz spricht das frühere Mitglied der grünen Bundestagsfraktion als DGB-Vorstandsmitglied über soziale Sicherung
Ja.
Haben Sie überlegt, aus der grünen Partei auszutreten?
Natürlich habe ich mir die Frage schon gestellt. Parteimitgliedschaften sind ja nicht angewachsen. Ein wichtiger Grund, warum ich trotzdem bei den Grünen geblieben bin, ist ihr bürgerrechtlicher Ansatz und insbesondere die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus. Dafür habe ich mich in der Bundestagsfraktion engagiert, in all meinen anderen Funktionen übrigens auch, und hier habe ich immer engagierte Mitstreiter und Mitstreiterinnen gefunden. Außerdem ist es ein Unterschied, ob ich als Bundestagsabgeordnete die Politik von Partei und Fraktion nach außen repräsentieren muss oder ob ich mich als Parteimitglied einmischen kann.
Aber Sie engagieren sich ja vor allem außerhalb des Parlaments, etwa im wissenschaftlichen Beirat von Attac. Läuft diese Form von außerparlamentarischer Opposition klassischen Parteien den Rang ab?
Der Schwerpunkt meiner Arbeit liegt inzwischen in den Gewerkschaften und im Aufbau von Kontakten und Bündnissen. Wenn wir gerade unter den Bedingungen einer großen Koalition etwas erreichen wollen für einen solidarischen Sozialstaat, brauchen wir ganz besonders die Kooperation mit Wohlfahrts- und Sozialverbänden, mit den verschiedensten Initiativen und NGOs, mit engagierten Menschen aus Kirchen und Parteien, damit wir mehr bewegen können. Hier gibt es viel zu tun, und das macht mir Spaß.
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