piwik no script img

Chancen für Kirchner sinken

Sonderausschuss im Parlament berät über die umstrittene Rückgabe des Bildes „Berliner Straßenszene“ an Erben des jüdischen Sammlers. Gutachter bestätigen Rechtmäßigkeit

Berlin hat wenig Chancen, den Bilderstreit um Ernst Ludwig Kirchners „Berliner Straßenszene“ (1913) im Nachhinein für sich zu entscheiden. Auch deutet sich an, dass sich die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen wegen Untreue gegen den früheren Kultursenator Thomas Flierl (Linkspartei) und seine damalige Staatssekretärin Barbara Kisseler wohl als unbegründet herausstellen könnten.

Bei der gestrigen Aussprache im „Sonderausschuss Restitution“ im Abgeordnetenhaus wurden die Vorhaltungen, das Kirchner-Gemälde sei unter Flierls Ägide 2006 zu Unrecht aus dem Brücke-Museum entfernt und an die Erben des jüdischen Kunstsammlers Alfred Hess zurückgegeben worden, vielfach entkräftet. Die Restitution der NS-Raubkunst sei rechtlich und moralisch korrekt verlaufen, sagte der Jurist Jost von Trott zu Solz.

Flierl und Kisseler, die beiden „Hauptverdächtigen“ der Rückgabeaktion, wollten gestern wegen des laufenden Ermittlungsverfahrens – das den Vorwurf der Veruntreuung von Landesbesitz prüft – keine Aussagen im Ausschuss machen.

Der Sonderausschuss hatte sich konstituiert, um die „Frage nach der Rechtmäßigkeit und Eindeutigkeit“ der Gemälde-Rückgabe zu beleuchten, wie die Ausschussvorsitzende Alice Ströver anmerkte. Licht ins Dunkel sollte darum gebracht werden, wirft doch der Förderkreis des Brücke-Museums dem Land vor, das expressionistische Meisterwerk restituiert zu haben, obwohl im Falle des Bildes gar kein NS-verfolgungsbedingter Verlust für Hess vorlag. Dieser habe das Bild ja verkaufen wollen.

Bei der Anhörung sagte der Historiker Andreas Hüneke, es könne durchaus sein, dass sich Hess wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten Anfang der 30er-Jahre „überlegt“ hätte, Bilder zu veräußern. Doch alle ihm bekannten „Dokumente“ sagten „nichts“ darüber aus, dass „er beabsichtigte, seine Sammlung herauszugeben“. Das Bild war 1936 aus der Schweiz nach Berlin zurückgekommen und der geflohenen Familie entzogen worden.

Auch von Trott zu Solz, der im Auftrag des Senats den Fall begutachtete, sieht keine Grundlagen, die Restitution zu revidieren. Gemessen an den international und national geltenden Urteilen und Gesetzen sei die Familie Hess ein Opfer der NS-Diktatur und um ihr Hab und Gut gebracht worden. Es sei darum „unerheblich“, ob Hess damals „verkaufen“ wollte, das Bild sich in Deutschland befunden habe und er im Ausland gelebt habe. „Das Hess-Bild ist und bleibt ein NS-bedingter, unrechtmäßiger Verlust“, so der Rechtsanwalt in seinem Gutachten. ROLA

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen