: Die Wiederkehr der heiligen Krieger
PROBEBÜHNE Ein junger Künstler arbeitet vor Ort, verschlossene Archive öffnen sich: Mit dem Humboldt-Lab und seinen Probebühnen bereitet man sich in Dahlem auf den Umzug ins Humboldt-Forum im Stadtschloss vor – und bringt frische Bewegung in die Sammlung
■ Das Humboldt-Lab ist ein mehrjähriges Projekt, das in Dahlem in den Museen für Asiatische Kunst, für Europäische Kulturen und im Ethnologischen Museum neue Präsentationsformen und Vermittlungswege ausprobiert und nach Schnittstellen zwischen den Sammlungen und zeitgenössischen Diskursen sucht. Damit werden die Möglichkeiten erprobt, wie die Kunst den Besuchern im Humboldtforum begegnen wird, das in Mitte am Ort des alten Stadtschlosses gebaut wird. Dorthin sollen die Dahlemer Sammlungen umziehen.
■ Zu den vier Projekten der Probebühne 5 gehört die Ausstellung von Waseem Ahmed im Asiatischen Museum, die bis 6. April 2015 zu sehen ist.
■ Die Ausstellung der „Ton- und Bilddokumente aus deutschen Kriegsgefangenenlagern im Ersten Weltkrieg“ im Museum Europäischer Kulturen läuft ebenfalls bis 6. April 2015.
■ Öffnungszeiten in Dahlem: Di.–Fr. 10–17 Uhr, Sa.+So. 11–18 Uhr
VON KATRIN BETTINA MÜLLER
Zwei Monate lang war Waseem Ahmed, ein junger Miniaturmaler aus Pakistan, als Artist in Residence zu Gast im Museum für Asiatische Kunst in Dahlem. Direkt neben dem Raum, in dem die Miniaturen der Moghul-Zeit ausgestellt sind, schlug der Absolvent des National College of Arts in Lahore sein Atelier auf und führte in Workshops in die tradierte Technik der höfischen Kunst ein. Ahmed selbst gehört einer jüngeren Bewegung an, die seit Anfang der neunziger Jahre den Stil der Miniaturen für Kommentare zur unmittelbaren Gegenwart benutzt. Zum Ende seines Aufenthalts öffnete nun eine Ausstellung mit seinen eigenen Arbeiten, die einen großen Bogen zwischen Geschichte und Gegenwart schlagen, gleich neben den alten Kunstschätzen.
Zunächst erkennt man die Entsprechungen zwischen den indischen Landschaften aus vorhergehenden Jahrhunderten und Waseem Ahmeds Aneignungen in den Farben, dem Hinterfangen der Figuren mit einem Nimbus oder im Stil, wie das Laub gemalt ist. Wieder sitzt ein Gelehrter mit seinen Schülern unter einem Baum. Dann aber wundert man sich, dass die Wurzeln des Baums blutrot sind auf diesem Blatt von „The Silver Bullet Series“ und das Laubwerk sich in Schriftzeichen auflöst. Oder man entdeckt, dass ein Schläfer einen Patronengurt trägt und sein Traum vom Paradies möglicherweise der eines Attentäters ist. Oder der Nimbus, der eine Figur umfängt, ist von einem ornamentierenden Relief geprägt, das Patronenhülsen abbildet.
Tradierte Motive
So erhalten viele tradierte Motive, die von religiöser Unterweisung oder vom Leben der Heiligen erzählen, eine Konnotation von Propaganda und Aufrüstung für den heiligen Krieg. Man kann das als Kommentare der Trauer und der Empörung über die Instrumentalisierung eines Glaubens lesen, dem Waseem Ahmed als gläubiger Muslim selbst angehört. Die Aufladung des Islam mit Herausforderungen nach seiner gewaltsamen Durchsetzung ist ein Thema, was er wieder und wieder aufgreift. Dass ihm dabei die Tradition aber auch am Herzen liegt, die Pflege einer tief mit der Geschichte verwurzelten Bildsprache, sieht man an der Sorgfalt seiner Technik, in der das Bild mit sehr feinen Pinseln und Farben aus vielen Schichten gebaut wird.
Dass ein zeitgenössischer Künstler, der so behutsam und zugleich doch inhaltlich fordernd mit der Geschichte der Kunst arbeitet, direkt neben den historischen Werken präsentiert werden kann, verdankt sich dem Humboldt-Lab Dahlem. Seit 2012 mischt das Projekt in den Museen in Dahlem mit, bringt Künstler in einen Dialog mit den Sammlungen. Oft geht es dabei auch um die Geschichte der Ethnologie, ihren Beginn als Völkerkunde in den Zeiten des Kolonialismus, ein Thema, um das heute kein ethnologisches Museum mehr herumkommt.
Waseem Ahmeds Atelier gehört zur Probebühne 5, der fünften Runde der neuen Eingriffe in die museale Ordnung. Die Probebühnen funktionieren tatsächlich als eine Probe: Wie kann man die Sammlungen aus Dahlem, wenn sie denn mal in das Humboldt-Forum auf dem Schlossplatz einziehen, präsentieren und inhaltlich mehr Zugänge schaffen als bisher? Geht man jetzt durch die Dahlemer Sammlungen, findet man dafür viele Vorschläge. Und bedauert rückblickend, dass erst die Pläne zum Umzug solche Interventionen hervorgebracht haben. Die Sammlungen hätten ein solches Wachküssen schon viel früher verdient.
Legendär sind zum Beispiel die Bestände der Musikethnologie und das bisher kaum öffentlich zugängliche Berliner Phonogramm-Archiv. Musiker oder Weltmusikredakteure erzählten manchmal von den dort verborgenen Schätzen. Dass viele der alten Walzen mit Aufnahmen von Gesängen aus Nordafrika oder dem Kaukasus während des Ersten Weltkriegs in Kriegsgefangenenlagern in Wünsdorf und Zossen aufgenommen wurden, die von damaligen Völkerkundlern begeistert als Forschungsfeld besucht wurden, ist schon eine besondere Geschichte über die Quellen der Ethnologie. Mit ihr befasst sich die Sonderausstellung „Ton- und Bilddokumente aus deutschen Kriegsgefangenenlagern“ im Museum Europäischer Kulturen.
Direkt davor findet sich ein von zwei gebogenen Wänden umfasster Raum, der zur Probebühne 5 gehört. Hier wird ausprobiert, wie man am Humboldt-Forum die Musikethnologie dauerhaft in die Ausstellung integrieren kann – und wie Komponisten der Gegenwart damit arbeiten können.
In der sehr sehenswerten Ausstellung über die Kriegsgefangenen als Quelle völkerkundlichen Wissens empfiehlt mir einer der Museumsaufseher unbedingt die Hörstation zwei an einer der Säulen. Dort wird die Geschichte vom sogenannten Halbmondlager in Wünsdorf erzählt, in dem für die Kriegsgefangenen die erste Moschee auf deutschem Boden gebaut wurde – und das gleich mit der Absicht, die Moschee für politische Propaganda zu nutzen und die Gefangenen als heilige Krieger für eine Allianz mit der deutschen Seite zu instrumentalisieren. Ein wieder mal nicht sehr ruhmreiches Kapitel deutscher Geschichte.
Eigentlich wollte ich noch weiter zu einer weiteren Probebühne, aber dann bleibe ich doch hier hängen. Denn die Geschichte vom Halbmondlager beginnt sich über das Motiv der damals gewünschten und heute so gefürchteten Dschihadisten gerade mit den Themen zu verknüpfen, die Waseem Ahmed mit so großer Dringlichkeit bearbeitet. Und das sind beim Pendeln zwischen den Sammlungen doch noch immer die produktivsten Momente.
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