die taz vor zehn jahren: Fragen an Albanien
Klar ist, die künftige albanische Regierung wird ein Sozialist führen. Klar ist aber auch, dieses eindeutige Wählervotum, das den neuen Machthabern unter Umständen sogar zu einer Zweidrittelmehrheit im Parlament verhelfen könnte, hat nichts mit einer Nostalgie des Volkes für alte Zeiten zu tun. Und auch nicht damit, daß die Menschen plötzlich in den Sozialisten eine wirkliche politische Alternative zu Staatspräsident Sali Berisha und seiner Demokratischen Partei entdeckt hätten.
Die Mehrheit der AlbanerInnen hat am Sonntag ihre Stimme gegen Staatschef Berisha abgegeben. Einen Mann, der, als Hoffnungsträger angetreten, nicht zögerte, bewaffnete Truppen in den aufständischen südlichen Teil des Landes zu schicken und, um des Machterhaltes willen, auch rund 2.000 Tote in Kauf nahm.
Nun läßt sich ja mit Chaos und dem Versprechen, Ruhe und Ordnung wiederherzustellen, vielleicht ganz gut Wahlkampf, aber noch lange keine Regierungspolitik machen. Und so werden sich die Sozialisten ganz schnell auf viele Fragen eine Antwort einfallen lassen müssen, die sie bislang schuldig geblieben sind. Wie und wovon wollen sie, wie vor den Wahlen versprochen, das Geld zurückzahlen, das viele durch die Zusammenbrüche der Pyramiden verloren haben? Wo sollen Auslandsinvestitionen herkommen? Wie soll das gespaltene Land wieder zusammengeführt und der Süden entwaffnet werden? Auf dem Weg zu einer – sowohl in Albanien als auch im Ausland erhofften dauerhaften – Stabilität sind die Wahlen allenfalls ein erster Schritt. Mehr nicht. Doch das ist schon viel. Jedenfalls in Albanien.
Barbara Oertel, 2. 7. 1997
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