PRESS-SCHLAG: Hoch die Faust!
PROTESTE Die rebellischen Athleten waren totgesagt. Doch sie sind wieder da – und zeigen, dass Sport immer politisch ist
Viele US-Sportler, überwiegend Afroamerikaner, solidarisieren sich derzeit mit den Protesten gegen Polizeigewalt: Nicht nur die NBA-Superstars LeBron James, Kobe Bryant, Amare Stoudemire und Derrick Rose, auch die Tennisspielerin Serena Williams, der Footballer DeSean Jackson und die frühere Basketballlegende Magic Johnson meldeten sich via soziale Medien zu Wort. Die Liste der Solidarität ist lang. Anders als oft behauptet wird, hindert die Stars auch nicht ihr Reichtum daran, sich politisch zu äußern.
Noch vor wenigen Jahren war das nicht zu erwarten. „Die Zeit des aktivistischen Sportlers ist vorbei“, hatte 2008 der Kulturanthropologe Orin Starn verkündet. Sport sei nämlich zu einem derart großen Geschäft geworden, dass Athleten durch die Gelder, die sie verdienen, befriedet würden. „Sportler erhalten ihren Marktwert nicht dadurch, dass sie etwas Kontroverses sagen.“ Als Belege galten ihm vermeintlich unpolitische schwarze Superstars wie Michael Jordan oder Tiger Woods.
Und Barack Obama. Dass ein Schwarzer nämlich Präsident der Vereinigten Staaten werden konnte, so eine beliebte und immer noch keineswegs falsche These, war nicht zuletzt dem Wirken großer Sportler zu verdanken. Einem wie Muhammad Ali, der in den Sechzigerjahren beleidigt, beschimpft und mit Berufsverbot belegt wurde, der in den Siebzigern sich Respekt und Anerkennung erboxte und nicht zuletzt durch seine Beharrlichkeit seit den Achtzigern zur wichtigsten Integrationsfigur Amerikas wurde. Über Obamas privatem Schreibtisch hing zu Wahlkampfzeiten ein Poster von Muhammad Ali.
Nun aber sind die USA von antirassistischen Protesten erschüttert, und die Präsidentschaft Obamas kriselt. Genau zu diesem Zeitpunkt melden sich die neuen protestierenden Sportler zu Wort, wie zuletzt zu Hochzeiten der Bürgerrechtsbewegung und Achtundsechziger. Zu deren Protesten gibt es ein Bild: Bei der Siegerehrung des 200-Meter-Laufs der Olympischen Spiele in Mexiko recken zwei Sprinter die Faust in die Höhe und senken ihren Blick. Namen wie Tommie Smith, John Carlos, Kareem Abdul-Jabbar, Billie Jean King und Muhammad Ali stehen für den Aufbruch.
Sport, war die nicht nur damals richtige Überzeugung, ist immer auch eine Arena der politischen Auseinandersetzungen, der gesellschaftlichen Konflikte. Rassismus ist nicht ein sportfremdes Thema, das leider zu beklagen ist, sondern integraler Teil des Sports. Wie eigentlich alles: Homophobie, Polizeigewalt, Judenhass, ökonomische Macht, Sexismus – verlängen Sie die Liste doch bitte selbst!
In Deutschland spricht man gerne vom „mündigen Sportler“. Mit dieser unangenehm gönnerhaften Formulierung ist nicht jemand gemeint, der ein politisches Verständnis seines Sports hat, sondern bestenfalls einer, der, wie es dann gerne formuliert wird, auch mal über den Stadionrand hinausschaut.
Das aber ist das Schöne an der Wiederkehr des politischen Sportlers, die wir derzeit in den USA erleben: Es wird deutlich, dass Sport immer ein gesellschaftliches Ereignis ist. Politik halt. MARTIN KRAUSS
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