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Länger lieben

COME TOGETHER Schwellschwund und Lustlücken sind nur ein Problem der „Generation Silver Sex“. Zuerst einmal geht es darum, überhaupt einen Partner zu finden

Literatur

■ Ruth K. Westheimer: „Silver Sex. Wie Sie Ihre Liebe lustvoll genießen“. humboldt/Schlütersche 2010, 352 Seiten, 9,95 Euro

■ Eckart Hammer: „Männer altern anders: Eine Gebrauchsanweisung“. Herder Verlag 2010, 224 Seiten, 9,90 Euro

■ Peter Wippermann, Antje Heidböhmer: „Lebe lieber froh! Neue Strategien für ein zufriedenes Leben“. Piper Taschenbuch 2014, 192 Seiten, 9,99 Euro (aw)

VON ANSGAR WARNER

Länger leben heißt auch länger lieben. Die ehemaligen Babyboomer der Nachkriegszeit haben deswegen zu Beginn des 21. Jahrhunderts ein neues Label verpasst bekommen – sie wurden zur „Generation Silver Sex“ erklärt. Der Hamburger Trendforscher Peter Wippermann konstatierte in einem Buch mit genau diesem Titel bereits 2009: „Die heute 45- bis 65-Jährigen sind dabei, sich auf eine permanente Erotisierung des Alltags einzurichten.“ Wippermann stellte eine direkte Verbindung her zum veränderten Selbstverständnis der Alt-68erinnen: aufgewachsen mit der Emanzipationsbewegung, hätten vor allem die Frauen dieser Generation gelernt, „Sex mit Freiheit“ gleichzusetzen. Diese Ansprüche an eigenes Auftreten und Aussehen würden sie auch im Alter stellen – nicht nur an sich selbst, sondern auch an ihre Partner.

Körperkult und zunehmende „Versportung“ allein hätten die Männer dieser Alterskohorte aber wohl kaum ausreichend auf den erotischen Unruhestand vorbereitet. Zum Glück kam ihnen ein medizinhistorischer Zufall zu Hilfe: In den 1990er Jahren suchte der US-Pharmariese Pfizer nach blutdrucksenkenden Wirkstoffen, allerdings ohne Erfolg. Doch dabei entdeckten die Forscher beim Testen des Präparates „Sildenafil“ einen gefäßerweiternden „PDE-5-Hemmer“. Ende der 1990er Jahre brachte Pfizer dieses Arzneimittel unter dem Namen „Viagra“ auf den Markt – ein Wort, mit dem mittlerweile mehr Männer (und wohl auch Frauen) etwas anfangen können als mit „Testosteronmangel“, „erektiler Dysfunktion“ oder „Andropause“.

Schaut man sich die Ratgeber-Literatur zum Thema „Sex im Alter“ an, die seit Mitte der nuller Jahre einen regelrechten Boom erlebte, wartet aber eine Überraschung – dort stehen jenseits der medizinischen Ebene ganz andere Themen im Vordergrund, vor allem die psychologische Seite. Gleich zu Beginn ihres Klassikers „Sex after 50“ stellt etwa die bekannte US-Sexualtherapeutin Ruth K. Westheimer klar: „Your Brain is your most important Sex Organ.“ In der deutschen Übersetzung (Titel: „Silver Sex“) liest man: „Sex zwischen älteren Menschen ist anders als Sex zwischen jüngeren Menschen. Sie müssen besser miteinander kommunizieren und offener über ihre Probleme sprechen, um überhaupt Sex haben zu können.“

Doch was man beim Thema Silver Sex gerne vergisst: Oft müssen sich die passenden Partner auch überhaupt erst mal finden. In der Generation 50 plus nimmt gerade die Zahl der weiblichen Singles von Jahr zu Jahr überproportional zu. Nicht ganz zufällig ist die „Generation Silver Sex“ deswegen auch die der „Silver Surfer“ und tummelt sich auf Online-Partnerbörsen. „Diese Generation scheint die Vorzüge ihrer Lebenssituation zu schätzen und auszuleben: Verpflichtungen haben sich reduziert, Karriereplanung steht nicht im Vordergrund, Familienplanung spielt keine Rolle mehr, das bietet – gepaart mit Lebens- und Beziehungserfahrung – eine gute Grundlage für die entspannte Suche nach einer neuen Liebe oder Partnerschaft“, beobachtet etwa Markus Ernst. Der Hamburger Diplom-Psychologe gehört zum Beraterteam der Plattform Parship und veranstaltet als Single-Experte auch Coachings für ältere Semester.

Eine glaubhafte Mischung aus Revoluzzertum, Relaxedness und Altersweisheit: Trendforscher Peter Wippermann – inzwischen rein kalendarisch auch Mitte sechzig – hat kürzlich versucht, solche Strategien exakter zu formulieren (siehe den Ratgeber: „Lebe lieber froh! Neue Strategien für ein zufriedenes Leben“), und gibt in punkto Partnerschaft den Tipp, das zu definieren, was für einen selbst und ganz persönlich notwendig ist: „Das ist das Minimum, die Must-haves. Alles andere sind Nice-to-haves, nicht essenziell für eine gute Beziehung.“ Wozu auch gehöre, sich von dem Gedanken zu verabschieden, dass der oder die andere unser Held ist.

Sind die Silver Sexer also im Kern ganz einfach bessere Strategen in Sachen Partnerwahl und Beziehungmanagement, so wie der sprichwörtliche „Harung mit Erfahrung“? Paarpsychologe Markus Ernst hat bei seiner Arbeit durchaus Belege dafür gefunden: „Die Silver Surfer haben oft sehr genaue Vorstellungen von dem, was sie suchen und was sie nicht wollen. Mit zunehmendem Lebensalter habe ich ein genaueres Bild von mir und weiß, was mir gut tut und was nicht.“

Die Silver Surfer haben oft sehr genaue Vorstellungen von dem, was sie suchen

Allgemeiner gesprochen stimmt das aber auch wieder nicht – so fragt sich etwa Eckart Hammer in seinem Buch „Männer altern anders“: „Was wissen wir eigentlich über den Mann jenseits der 50?“ Eigentlich gar nicht so viel, abgesehen von der Mutmaßung, er habe wohl seinen Zenit überschritten und es gehe mit ihm beruflich, körperlich und sexuell „nur noch bergab, bevor dann irgendwann Impotenz, Inkontinenz und Demenz seine Karriere beschließen“. Das Problem sei ganz einfach ein blinder Fleck der Forschung, so der Ludwigsburger Soziologe und Sachbuch-Autor, denn, obwohl männlich dominiert, hätten sich Gerontologen für den alten Adam im Unterschied zur alten Eva noch nie so wirklich interessiert. Ein Grund dafür: eine Art „Gerophobia“, sprich Angst vor dem eigenen Forschungsgegenstand.

Letztlich bleibt so die „Generation Silver Sex“ ein Phantom. Alle reden über sie, aber niemand würde sich freiwillig zu ihr bekennen – man genießt und schweigt. Zwischen vierzig und siebzig, so zeigt der „Gesundheitsmonitor“ der Bertelsmannstiftung, weicht das gefühlte Alter vom biografischen Alter immer stärker ab, bis zu 15 Jahren jünger schätzen sich die Leute ein. Auf die Frage, ab wann ein Mensch alt ist, antworten die 45- bis 64-Jährigen: „Ab 71.“ Die Generation Ü 64 verschiebt die Definition „Alt“ sogar auf 76 Jahre.

Oder in den Worten von Eckart Hammer: „Alt sind immer nur die anderen.“ Sein Ratgeber verkauft sich trotzdem sehr gut – man kann ihn ja auch an alte Freunde verschenken.

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