: Der meiste Wind ist westlich
SOMMER IM MUSEUM (VII) Der Schriftsteller Uwe Johnson hat dem westmecklenburgischen Klütz in seinem Hauptwerk „Jahrestage“ ein Denkmal gesetzt. Im Gegenzug hat das Städtchen zwischen Wismar und Travemünde mit dem Uwe Johnson-Haus ein Dichtermuseum eröffnet
■ Warum nicht, gerade im Sommer, das aufspüren, was die Peripherie oder, gut versteckt, die eigene Stadt so an Kultur zu bieten hat? Das kann bedächtig, muss aber nicht verschlafen sein, sondern im Gegenteil: engagiert, bodenständig, mal öffentlich, mal privat und im besten Sinne facettenreich. Wir stellen einige Museen, Gedenkorte, Initiativen der Region vor, die zu besuchen sich lohnen könnte – wenn auch, vielleicht, nicht für jede und jeden.
VON FRANK KEIL
Eine Schlüsselrolle in Uwe Johnsons Hauptwerk „Jahrestage“ spielt das Städtchen Jerichow. Lange Jahre dachten nicht nur Journalisten, dass dieses Jerichow etwas zu tun haben müsse mit dem westmecklenburgischen Städtchen Klütz. Johnson verneinte dies stets. In Klütz hat man sich dennoch nicht davon abhalten lassen, dem Dichter ein Museum zu widmen: Seit 2006 gibt es in der 3.200 EinwohnerInnen zählenden Stadt das Uwe Johnson-Haus, das neben seinem Werk auch die Verbindung Johnsons zu seiner Wahlheimat Mecklenburg thematisiert.
Das Uwe Johnson-Haus ist in einem ausgebauten einstigen Getreidespeicher aus dem Jahr 1890 untergebracht. Im Eingangsbereich liegt jede Menge Prospektmaterial über Sehenswertes aus dem so genannten Klützer Winkel aus, der sich von Lübeck bis Wismar erstreckt. Ferner bietet das Haus die Bibliothek des Ortes. Im Untergeschoss finden sich die Bücherregale für die Erwachsenen, eine Treppe hinauf die für die Kinder, samt einer Ecke mit Matratze. Und weiter geht es die steile Treppe hinauf ins Reich des Uwe Johnson.
Dabei ist das, was nun folgt, alles andere als ein verschnarchtes Dichtermuseum, in dem etwa eine alte Pfeife Uwe Johnsons oder eine von ihm lange benutzte mechanische Schreibmaschine zu begutachten ist. Das Uwe Johnson Haus lebt vielmehr von den Texten Johnsons, von deren Wirkung auf die damalige Dichter- und Intellektuellenszene, die sich zwischen Ost und West zerrieben fühlte.
Um dieses zum Leben zu erwecken, hat sich das Johnson-Haus allerlei einfallen lassen. Schwarze, lederne Sessel, in die man tief einsinkt, laden überall zum Verweilen ein. Hier und da finden sich kleine, stabile Tafeln, auf denen Biografisches über den Schriftsteller aufgelistet ist – manche an Bändern befestigt, damit man sie nicht gedankenverloren mitnimmt, wenn man sich aus dem Sessel schält und sich weiter umguckt.
Besonders eindrücklich ist die verspiegelte Wand an der Kopfseite des Speichers, der überhaupt in seiner Kombination aus Backstein, schwerem Holz und Stahlträgern gefällt. In den Spiegeln kann sich der Besucher beständig wieder entdecken. Hier und da sind in den einzelnen Kacheln Texte einmontiert worden. Ein von Johnson geschriebener früher Lebenslauf etwa, der wie folgt beginnt: „Mein Name ist Uwe Klaus Diedrich Johnson. Ich bin geboren am 20. Juli 1934 in Kamien (Kaminn/Pomm.).“ Dazu gesellen sich jede Menge sanft spiegelnder Bilder, in Form von Fotonegativen gehalten, die den Schriftsteller mal mit mehr, oft aber mit weniger Haaren zeigen, dafür meist mit Pfeife im Mund.
Zwischendurch finden sich jede Menge Eckchen und Vorsprünge, in denen weiteres Werkmaterial des Dichters, der seinen Wechsel 1959 vom Osten in den Westen Deutschlands stets als Umzug und nie als Flucht verstanden wissen wollte, zu erlesen ist. Auszüge aus Briefen sind ebenso zu betrachten wie zahlreiche Auskünfte von Zeitgenossen und Freunden einzuholen sind.
Günter Kunert, einst ebenfalls vom Osten in den Westen gewechselt, gibt unumwunden zu: „Alle hatten Angst vor ihm. Auch ich. Oder genauer gesagt: nicht so sehr vor ihm als vor seiner alkoholabhängigen Unberechenbarkeit.“
Johnsons Freundschaft zu Hannah Arendt wie zu Ingeborg Bachmann, die auf einem Treffen der Gruppe 47 begann, kann lesend nachverfolgt werden und auch die Geschichte von Johnsons Begegnung mit der Kommune I ist zu erfahren: Dem Dichter hatten die bereits in seiner Berliner Atelierwohnung untergekommenen Kommunarden auch noch seine eigentliche Dachwohnung besetzt und dort wohl auch das heute legendäre „Pudding-Attentat“ vorbereitet. Von dem wiederum erfuhr Johnson im fernen New York aus der New York Times und beschloss, sofort die Kommunarden an die frische Luft zu setzen. Das besorgte ein damals Ortsansässiger für ihn: Günter Grass.
Als Johnson im Februar 1984 im Alter von 50 Jahren starb, stand in der BZ: „Er hatte wenig Kontakt zu seinen Nachbarn – und verabschiedete sich in seiner Stammkneipe oft mit einem doppelten Wodka.“
Im zweiten Stock finden sich die vergrößerten und auf Aluminium aufgezogenen Umschläge seiner Buchausgaben, die somit wirken, als seien sie Kunstdrucke. In einer Ecke sind auf einem Bildschirm drei Filme zu betrachten. Darunter ein Interview mit einem NDR-Redakteur, das einen zurück in vergangene Zeiten versenkt. Über sieben Minuten dauert das Interview! Und die Kamera wackelt nicht, es wird nicht mit Zeitlupe gearbeitet oder mit Überblendungen. Johnson sitzt einfach an einem Schreibtisch, im Hintergrund meterweise Akten.
Johnson schaut so ernst in die Kamera, wie die Kamera ernst auf ihn blickt. Und dann wird hart nachgefragt! Ob er denn wirklich glaube, dass man heutzutage noch Hunderte von Seiten eines einzelnen Schriftstellers lesen wolle. Und Johnson stopft seine Pfeife und er knetet seine Finger und ihm ist anzusehen, wie ihn diese Fragerei immer mehr anödet und wie er mit aller Kraft Haltung zu bewahren versucht.
Unten im Erdgeschoss fällt der Blick auf Vitrinen mit weiteren Schätzen: Bücher von Uwe Johnson. Käuflich zu erwerben – man muss nur die nette Frau von der Aufsicht fragen und sie holt den Schlüssel, schließt auf und holt hervor. Johnsons Notizen seiner Reise nach Klagenfurt als Taschenbuchausgabe sind zu bekommen, seine Essays in versammelter Form, ein prima Lesebuch für den Johnson-Einsteiger und natürlich sein Hauptwerk, die „Jahrestage“: jenes über 1.700 Seiten starke Buch, das die Erlebnisse der Gesine Cresspahl im New York zu Zeiten des Vietnam Krieges mit denen ab 1933 im westmecklenburgischen Jerichow kontrastiert.
Ein paar Autominuten entfernt, an der Klützer Kirche, die in den „Jahrestagen“ eine wichtige Rolle spielt, geht es vorbei an den Ostseestrand. Die Ostsee ist hier äußerst flach, dutzende Meter schreitet der Schwimmwillige durch badewannenwarmes Wasser Richtung Horizont und noch nicht mal die Knie werden nass. Und wer mag, der hält dabei die „Jahrestage“ in den Händen und liest laut die Sätze: „Das Wetter ist das der See. Der meiste Wind ist westlich, vornehmlich im hohen Sommer und Winter. Hier ist es kühl. Hier sind die meisten trüben Tage im Land. Hier regnet es seltener als anderswo in Mecklenburg, und Gewitter kommen nicht oft vorbei.“
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