: Leben in pneumatischen Zelten
UTOPIE Das Haus am Waldsee in Berlin zeigt baulichen Rock ’n’ Roll der 1968er Jahre: Die Retrospektive „Haus-Rucker-Co“ erinnert an die Revolte einer Architektengeneration
VON ROLF LAUTENSCHLÄGER
Visionäre Architekturkonzepte stehen seit ihren Anfängen im Verdacht der Täuschung. Vorgeworfen wird ihnen, das Versprechen baulicher, ästhetischer und sozialer Verbesserungen nicht einzulösen, ja oft sogar ins Gegenteil zu verkehren. Die städtebaulichen Entwürfe von Sant’Elia bis Ludwig Hilberseimer, von Le Corbusier bis Richard Paulick gelten eher als totes architektonisches Design denn als lebendige Stadtplanungen. Nur – hat sich damit die Bedeutung solcherlei Architekturideen erledigt?
Wohl kaum. Im kleinen Haus am Waldsee in Berlin-Zehlendorf, einem Ort für moderne internationale Kunst und Architektur, kratzen seit Jahren die Ausstellungsmacher recht erfolgreich an den problematischen Images, die den alten und jungen Visionären anhaften; zuletzt in den Werkschauen von Werner Aisslinger und Craft-Architekten. Mit der Retrospektive „Haus-Rucker-Co, Architekturutopie reloaded“ setzt das Haus am Waldsee fast programmatisch diese Tradition fort. Doch nicht, um Vorbehalte zu ignorieren, sondern um die visionären Besonderheiten und Spielarten dieser Konzepte zu interpretieren und auch zu würdigen.
Und bei den Wienern Haus-Rucker-Co (HRC) geht es vornehmlich um Spiel und Ironie: Durch das Haus am Waldsee dröhnt Popmusik. Filme flimmern, lange Haare, Schlaghosen, bunte Klamotten, nette Leute sind im Bild. Die krabbeln dann durch Plastikröhren in riesige transparente Kapseln, durchsichtige pneumatische Zelte, in denen sie sich zu Musik entspannen und von „Bewusstseinserweiterungen“ erzählen. Sollen wir uns so die Wohnungen und das Leben der Zukunft vorstellen? Zurück in den Mutterleib?
Die Kuratoren haben diese mit Druckluft aufgeblasenen Plastikkugeln, den „Ballon für 2“ (1970) und den „Livingroom“ (1967) neben andere riesige pneumatische Installationen in die Ausstellungsräume gepresst. Kühn gebaute Welten, neue Räume, Hüllen tun sich auf. Doch auf die Idee, in die Kugeln oder luftigen Osram-Glühbirnen mit einem Durchmesser von über drei Meter hineinzuwollen, sich Cyberbrillen aufzusetzen, sich auf Gehirnwäsche-Stühlen („Mind Expander 2“, 1968) zu platzieren, kommt man sicher nicht.
Die veränderten – „verruckten“ – Raumerfahrungen, welche die Wiener Architektur-Kunstgruppe Haus-Rucker-Co in den 1960er und 1970er Jahren inszenierte, lassen sich eher als Auseinandersetzung mit den Bildern und Verfremdungen jener Revolte- und Aufbruchsjahre lesen. Popart, James Bond 007, „Fahrenheit 451“, Dynamik, Leben im All und in künstlichen Städten (nach dem Atomkrieg!), die Welt als Sex- oder Klangraum bildeten die Klischees. Die neuen HRC-Räume waren die spielerischen und irritierenden Reminiszenzen hierzu.
Zugleich zeigt die Schau, dass die Gruppe Haus-Rucker-Co, die 1967 von den jungen Architekten Laurids Ortner, Günter Zamp Kelp und dem Maler Klaus Pinter in Wien gegründet wurde und die sich 1992 auflöste, auch ein ernsthafteres Anliegen antrieb. Den seelenlosen, verkehrsgerechten, betonierten Städtebau der Nachkriegsjahre samt dessen Nutzer konfrontierte die Gruppe mit Gegenkonzepten und neuer Raumerfahrung: mittels experimentellen Wohnprojekten, alternativen Techniken und „urbanen Landschaftsbildern“.
Dieser zweite Teil der Ausstellung zeigt HRC als Zeichner, Grafiker und Bildhauer und unterstreicht damit die Zielsetzung der radikalen Vordenker: Die verbauten Städte und unbrauchbaren Häuser müssen wieder in wirkliche Lebenswelten zurückverwandelt werden, sonst gehen sie – und wir – unter, meinem HRC. Die Grafikreihen „Oase Nr. 7“ (1972), „Big Piano“ (1972) und besonders das Triptychon „Pneumacosm“ (1968/70) sowie das „Haus-Rucker-Panorama“ (1969) illustrieren dieses Thema mehrfach: In Städte hinein werden Berge, futuristische Wolkenbügel oder Himmelsleitern gepflanzt. Es sind Chiffren, die alle auf die reale Bedrohung durch urbane Verdichtung, Verkehr und den Raubbau an der Natur hinweisen, die HRC „als Kulisse, als Simulation“ zurückholen. Lässt sich das nicht als Desillusion deuten?
Womit zugleich ein Defizit der Ausstellung benannt ist: HRC war zu seiner Zeit in Wien kein Unikum. Coop Himmelblau, Friedensreich Hundertwasser oder Hans Hollein erdachten und bauten bizarre Architekturen. In diesen Grenzbereichen neuer urbaner Raumerfahrung bewegen sich auch heute Künstler und Architekten: die Gruppe Raumlabor, Olafur Eliasson, Rem Koolhaas oder Ai Weiwei.
Bis auf drei wenige Installationen lässt das Haus am Waldsee die Fortschreibung und Rezeption der Ideen und Utopien aus dem Wiener HRC-Laboratorien außen vor. Angesichts der Fülle heutiger urbaner Konzepte wären ein paar aktuelle Beispiele und Vergleiche sicher hilfreich gewesen. Dass Laurids Ortner heute etwa in Wien mit dem Museumsquartier und dem Bau von Shoppingmalls sich weit vom einstigen HRC-Programm entfernt hat, ist eine Aussage zum Thema Architekturutopien, die ebenfalls der Erwähnung wert gewesen wäre.
Bis 22. 2. 2015, Infos: www.hausamwaldsee.de
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