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Schläge ohne Strafe

HÄUSLICHE GEWALT Zu Verletzungen durch ihren Mann wollte eine Frau vor Gericht doch nicht aussagen. Das Verfahren wurde eingestellt – und ist kein Einzelfall

Gewalt gegen Frauen

In den letzten Jahren wurde zunehmend mehr Fälle von häuslicher Gewalt gemeldet.

■ 2008 registrierte die Polizei in Bremen 960 Fälle, 2009 waren es 1096 Fälle. Bis November 2010 wurden 946 Fälle registriert, neuere Zahlen sind noch nicht bekannt.

■ Hilfe erhalten Frauen bei der Polizei und den Beratungsstellen. In Bremen bietet etwa das Autonome Frauenhaus Schutz vor Gewalt. Durchschnittlich leben Frauen dort zwei bis drei Monate. Über ein Drittel von ihnen hat einen Migrationshintergrund. (taz)

Mehrfach soll Gholam E. auf seine Frau Narges eingeschlagen haben, ehe sie zu Boden fiel. Dann soll er ihr in den Rücken getreten haben. Als sie die Polizei rief, soll Gholam E. gedroht haben, sie umzubringen. Das war im November 2010. Am Montag stand der 41-Jährige dafür vor dem Amtsgericht. Der Iraner fährt Taxi, seine Frau arbeitet als Altenpflegerin. Vor Gericht wollte sie nicht gegen ihren Mann aussagen. Das Verfahren wurde eingestellt.

Anwältin Ayse von Freyhold kennt die Problematik: „Viele Frauen verweigern die Aussage, um nicht noch weiteren Ärger zu haben.“ Oft dauere es Monate, bis es zu einem Prozess komme. Manche Frauen wollten dann nur noch in Ruhe gelassen werden. Bei gemeinsamen Kindern erhalte der Vater oft das Recht, sie zu sehen – selbst wenn er sich der Mutter nicht nähern darf.

Narges E. ging zur Polizei, ein paar Tage nach der Verletzung. Später zog sie ihre Anzeige wieder zurück. Sie habe die Scheidung eingereicht, sagte sie dem Polizisten auf der Wache, habe Angst, dass ihr Mann die Papiere nicht unterschreibe. Dann kam es zu einem Streit um das Sorgerecht. Erneut soll Gholam E. seiner Frau gedroht haben, er werde sie umbringen. Narges E. suchte sich eine Anwältin, ein Verfahren wurde eingeleitet. Bei der Verhandlung schwieg der Angeklagte. Narges E. entschied kurzfristig, die Aussage zu verweigern.

„In solchen Fällen bleibt wenig anderes übrig, als das Verfahren einzustellen“, sagte der Richter Bernd Teuchert. Nach der Aussageverweigerung, auf die Eheleute ein Recht habe, dürften auch frühere Aussagen gegenüber Polizisten nicht mehr verwendet werden. „Manche Frauen vertragen sich wieder mit ihrem Mann, manche haben es geschafft sich zu trennen und wollen ihre Ruhe“, so der Richter. In anderen Fällen würden die Frauen vom Mann eingeschüchtert, seien Drohungen ausgesetzt. Dies sei schwer nachzuweisen, dafür fehlten Resourcen.

Sabine Krämer vom Autonomen Bremer Frauenhaus sagt, Frauen mit Migrationshintergrund hätten es eher schwerer, sich gegen häusliche Gewalt zu wehren. Sie hätten Schwierigkeiten sich auszudrücken oder seien dem Druck der Verwandten ausgesetzt. Für viele Frauen sei es schwer sich vorzustellen, unabhängig vom Mann zu leben. Manche der Frauen machten sich auch selbst Vorwürfe. Erst nach längerem Aufenthalt im Frauenhaus fänden sie die Stärke, nicht zu ihrem Mann zurück zu kehren. Narges und Gholam E. wohnen noch zusammen. Ihre Scheidung soll im Iran stattfinden. JPB

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