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Aufregende Tage in Kairo

VORABDRUCK Das Zeitdokument des taz-Korrespondenten Karim El-Gawhary

13:51 „Demo hat sich mindestens verdreifacht. Marschieren durch Abu al-Ella. Polizei ist verschwunden“

VON KARIM EL-GAWHARY

Auf dem Abdel-Moneim-Riad-Platz im Zentrum Kairos, nicht weit vom Tahrirplatz entfernt, schiebt sich ein Mann langsam in seinem klapprigen, alten Rollstuhl voran. Zwischen seine Schenkel hat er einen Topf schwarzer Farbe geklemmt. In der Hand hält er einen Pinsel. Mühsam beugt er sich herunter, um den Bordstein anzustreichen. Er kommt nur langsam voran. In der nächsten halben Stunde wird er gerade mal ein paar Meter schaffen. Den Bürgersteig zu verschönern ist, einen Tag nach dem Sturz des Pharaos Husni Mubarak, sein persönlicher Beitrag zur ägyptischen Revolution.

Willkommen im neuen Arabien

Gibt es ein besseres Symbol dafür, wie nicht nur dieser Mann, sondern ein ganzes Land seine Würde wiedergefunden hat? Die ganze Welt hielt in den ersten Wochen der Revolution Anfang des Jahres 2011 den Atem an. Durch ihre schiere Masse und ihre unglaubliche Sturheit, immer wieder friedlich auf die Straße zu gehen, brachten die Araber auch die repressivsten Regime ins Wanken. Die Faszination dieser Freiheitsbewegungen entstand auch dadurch, dass die reale Macht des Volkes auch im fernen Europa greifbar und erfahrbar wurde. Was da geschah, mutete wie ein modernes Politmärchen an, dessen Inspirationskraft sich kaum jemand entziehen konnte. Und es blieb nicht bei einem Land – es wurde die Zeit der Tausendundeinen Revolution. (…)

Gerade einmal ein halbes Jahr vor der Revolution hatte ich als Journalist selbst begonnen, mit den neuen Medien zu experimentieren. (…) Dass ausgerechnet Blogs, Facebook und Twitter die neuen Instrumente werden sollten, mit denen zum Aufstand mobilisiert wurde, das hatten sich selbst die Internet-Aktivisten in ihren kühnsten Träumen nicht vorstellen können. Was liegt da näher, als die Ereignisse selbst mit Blog-Einträgen, Facebook-Postings und Twitter-Tweets wiederzugeben?

Indem es diese mit Zeitungsreportagen und Live-Gesprächen für Radio und Fernsehen mischt, versucht dieses Buch etwas Neues: mit aus dem Moment geschriebenen und gesprochenen Beiträgen eine Unmittelbarkeit herzustellen und den Leser auf eine ungestüme, ungewöhnliche revolutionäre Abenteuerreise mitzunehmen. Das Buch ist ein Rückblick, ein Zeitdokument, das die Leser direkt zu den Orten und Zeiten bringt, an denen die Revolution stattgefunden hat. Nach dem Raumschiff-Enterprise-Motto: „Scotty, beame mich zum Tahrirplatz!“ Dies ist keine Analyse, keine Nacherzählung oder Aufzählung der Ereignisse, die die arabische Welt praktisch über Nacht umwälzten. (…)

Tage des Zorns

Arabesken, Blog 24. 1. 2011

Für morgen, den 25. Januar, wurde in Ägypten nach tunesischem Vorbild via Facebook, Twitter und Blogs zum Tag des Zorns gegen das Regime aufgerufen. Gegen das seit drei Jahrzehnten herrschende Regime Husni Mubarak sollen eine Menge dezentraler Aktionen stattfinden.

In dem Aufruf heißt es: „Nachdem die tunesische Revolution dazu geführt hat, dass die Menschen ihre Hoffnung zurückbekommen haben, ihren eigenen Willen und ihre Rechte durchzusetzen, werden die Ägypter an diesem Tag ihre Meinung gegen die herrschende Macht zum Ausdruck bringen, die seit 30 Jahren eine Politik anführt, die nur der herrschenden Elite dient.“

Was genau wo stattfinden wird, ist noch unklar, genauso wie die Antwort auf die Frage, wie die Sicherheitskräfte reagieren werden, die sicherlich auch das tunesische Beispiel genau studiert haben. Ich habe heute Abend mehrmals Befürchtungen gehört, dass es in dieser Nacht im Vorfeld eine Verhaftungswelle geben könnte. Bisher scheint es aber ruhig zu sein. Das Ganze ist jedenfalls ein Testfall, ob man mit Facebook, Twitter und Blogs tatsächlich eine kritische Masse auf der Straße mobilisieren kann und das in mehreren Orten Ägyptens gleichzeitig. Ich werde das morgen auf mich zukommen lassen und dann sicherlich darüber berichten.

25.1.2011

Tweets auf Twitter

10:17 Die Straßen in Kairo sind aufgrund des Feiertages leer, aber überall ist Polizei. Bisher ist es ruhig.

12:58 Ich stehe mit Demonstranten vor Regierungspartei in Kairo. Sie rufen „Diebe, Diebe!“

12:58 Polizei schreitet nicht ein.

12:59 Ziehen weiter zum staatlichen Fernsehen.

Auf Facebook gepostet

13:51 Demo hat sich mindestens verdreifacht. Marschieren durch Abu El-Ella. Polizei ist verschwunden.

Tweets auf Twitter

14:25 Inzwischen wurde Demo von Polizei aufgehalten. An anderen Stellen in Kairo, z. B. in Schubra, hat die Polizei inzwischen begonnen zu prügeln.

14:26 Bin wieder zurück im Büro, muss schnell etwas schreiben und ziehe dann wieder los. Das verspricht ein interessanter Abend in Kairo zu werden.

Arabesken, Blog 25. 1. 2011

25. Januar, 12:58 „Stehe mit Demonstranten vor Regierungspartei in Kairo. Sie rufen ‚Diebe, Diebe!‘“

Das war zweifelsohne einer der aufregendsten Tage meines Lebens. Ich komme gerade vom Tahrirplatz im Zentrum Kairos. Es ist 22:00 Kairoer Zeit. Tausende haben sich dort versammelt. Es herrscht eine Volksfeststimmung. Nachbarn bringen Kartons mit Wasser und Essen vorbei und verteilen sie an die Demonstranten. Läden haben geöffnet und stellen ihre Toiletten zur Verfügung. Viele der Jugendlichen sagen, sie wollen heute auf diesem Platz übernachten.

Ich bin dort dem ägyptischen Schriftsteller Alaa al-Aswani begegnet, dessen Bücher auch ins Deutsche übersetzt wurden und der vor zwei Jahren mit dem Bruno-Kreisky-Preis ausgezeichnet wurde. Ich habe ihn gefragt, wie er sich heute fühlt. Seine Antwort: „Das ist ein historischer Tag, ab heute gibt es kein Zurück mehr.“ Und auf meine Frage, ob Mubarak auch bald in ein Flugzeug steigt, hat er gelacht und gesagt: „Ich hoffe, dass das so bald wie möglich geschieht.“ Morgen wird sicherlich erneut ein aufregender Tag. Leider funktioniert Twitter im Moment nicht. Wer an regelmäßigen Updates interessiert ist, sollte auf meine Facebook-Seite zurückgreifen.

Blick in die arabische Kristallkugel

(…) Die beste Herangehensweise, um in der arabischen Welt einen Blick nach vorne zu werfen, scheint mir der linke Philosoph Antonio Gramsci in seinen „Gefängnisheften“ formuliert zu haben. „Man muss nüchterne, geduldige Menschen schaffen, die nicht verzweifeln angesichts der schlimmsten Schrecken und sich nicht an jeder Dummheit begeistern. Pessimismus des Verstandes, Optimismus des Willens.“ Um den pessimistischen, sprich kritischen, skeptischen Verstand zu bewahren und doch einen optimistischen Willen zu ermöglichen, kann man versuchen, einige Grundlinien festzuzurren, die für die Zukunft gelten.

Erstens: Der begonnene Prozess ist unumkehrbar. Sicherlich wird er von Rückschlägen begleitet sein, nach dem Motto: zwei Schritte vor, einer zurück. Und natürlich werden die alten Eliten versuchen, mit Zähnen und Klauen das Alte zu verteidigen, oder zumindest so viel wie möglich davon in die neue Zeit hinüberzuretten. Sicher ist: Wir sehen in unserer arabischen Nachbarschaft turbulenten Jahren entgegen.

Zweitens: Die Revolutionäre sind zwar teilweise ihre Regime losgeworden, aber haben keine unmittelbare Alternative präsentiert. Es gibt kein revolutionäres Projekt, mit dem das politische Vakuum automatisch gefüllt wird. Das Kommende muss nun ausgehandelt werden. Unberechenbar ist wohl das treffendste Adjektiv, um die nähere Zukunft zu beschreiben. Wir werden aller Voraussicht nach eine längere Zeit des Chaos erleben. Der arabische Frühling hat mit dem Sturz der Diktatoren den Höhepunkt seiner Flitterwochen erreicht. Jetzt steht uns die schwierige Geburt einer neuen arabischen Welt bevor.

Drittens: Die Zeit der politischen Monopole ist vorbei. Es wird keinen allmächtigen Pharao mehr geben und auch keine einzelne politische Gruppierung, die alle Macht an sich reißen kann. Jahrzehntelang war die wichtigste Marketingstrategie der arabischen Herrscher wie Ben Ali und Mubarak, sich als einzige Alternative zu den Islamisten oder gar der al-Qaida darzustellen. Doch mit der Revolution kam eine völlig neue, pluralistische arabische Welt zum Vorschein, die sie Lügen strafte.

Viertens: Es wurde erstmals das Prinzip der Rechenschaft eingeführt. Wer immer die Verantwortung für die Länder zugesprochen bekommt, der wird verpflichtet sein, Rechenschaft abzulegen, gegenüber einem gewählten Parlament, gegenüber Gewerkschaften und Berufsverbänden, aber auch gegenüber der Straße. Denn der Tahrirplatz hat die Menschen erstmals von Untertanen zu freien Bürgern gemacht.

■ Karim El-Gawhary: „Tagebuch der arabischen Revolution“. Kremayr & Scheriau, Wien 2011, 237 Seiten, 22 Euro. Erscheint am 5. September

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