piwik no script img

Götter & Dämonen

GENDER-GRENZGÄNGERIN Die weitgereiste Frau Ottinger

Ulrike Ottinger

■ Ihr Weg: geb. 1942 in Konstanz. Banklehre, Kunststudium. In den 1960er Jahren als Fotografin und Malerin in Paris. 1973 Filmdebüt: „Laokoon & Söhne“. Es folgen viele weitere essayistische Dokumentar- und Spielfilme. Lebt seit 1973 in Berlin.

■ Ausstellung & Film: „Floating Food“ läuft von 8. 9. bis 30. 10. im Berliner Haus der Kulturen der Welt. Dort wird ihr neuer Film „Unter Schnee“ am 9. 9. uraufgeführt (ab 15. 9. in den Kinos).

■ Retrospektive: Bis in den Januar hinein zeigt das Berliner Arsenal-Kino Ottingers Filmwerk, flankiert von Gesprächen und Vorträgen.

VON CLAUDIA LENSSEN

Reisende sollten Gaben mit sich führen, so sie auf gute Begegnungen in der Fremde hoffen. Die Regisseurin, Fotografin und Kamerafrau Ulrike Ottinger versetzt sich gern in die Welt der Grenzgänger, die über Wasser oder Land aufbrachen, um andere Kulturen kennen zu lernen.

Das Prinzip des Austauschs, das Völker durch den Handel mit Waren und Ideen zusammenführte, fasziniert sie. Und auch im Ritual der Opfergaben sieht sie ausgleichenden Handel am Werk. „Man hat gewusst“, meint die weit Gereiste, „dass man sich bei der Natur bedanken muss, dass man, egal ob in der Hand von Göttern oder Dämonen, ausgeliefert ist.“ Gabe und Gegengabe, wie Ulrike Ottinger es versteht, widersprechen dem gängigen Glauben, man könne alles mit Versicherungen regeln. Diese Idee, so Ottinger, ziehe sich wie ein roter Faden durch ihre künstlerischen Abenteuerreisen.

Ein Besuch bei Ulrike Ottinger ist der Eintritt in eine stille konzentrierte Welt. Mit dem aufgedrehten Kiez in Berlin-Kreuzberg, wo sie seit 1973 wohnt, scheint sie in lebendigem Widerspruch verbunden. Das zylindrische Bunkergebäude, das sich in der Nähe erhebt, hat sie in den siebziger Jahren in Berlin-Filmen wie „Freak Orlando“ als Schauplatz benutzt. Jetzt steckt der bizarre Koloss voller schicker Eigentumswohnungen.

Ottinger lebt mit Büchern, die von ihrer Liebe zum Reisen, zu fernen Völkern, ihren Riten und Künsten erzählen und ihren großen Fundus an ethnologischem, kunsthistorischem und mythengeschichtlichem Wissen vertiefen. Eine wohl geordnete Garde exotischer Götter und Dämonen in Holz, Stein und Erz behütet diese Bibliothek, sie bewacht auch die eindrucksvollen Schränke und Kästen, in denen Ulrike Ottinger ihren Bilderschatz aufbewahrt. Grafiken, Fotografien, Filmrollen und Zitate aus Märchen, Mythen und Reisebeschreibungen kann sie jederzeit hervorholen und zu neuem Leben erwecken.

Ausschweifende Dauer

Ulrike Ottinger hat mehr als zwanzig Filme gedreht, seit sie nach Berlin gezogen und mit der Malerin, Performerin und zeitweiligen Protagonistin Tabea Blumenschein dieses Medium für sich eroberte. Dokumentarische Reisefilme von ausschweifender Dauer finden sich in ihrem Werk, beispielsweise „China. Die Künste – Der Alltag“, eine Erkundung des kommunistischen Riesenreichs von 1985, oder „Südostpassage“, eine mehrstündige Filmreise durch die Balkanstaaten bis Istanbul, gedreht in den ersten Jahren nach der Auflösung des Eisernen Vorhangs.

„Madame X – Eine absolute Herrscherin“, eine frühe Spielfilm-Fantasie über eine asiatische Piratenkönigin, hätte in China gedreht werden sollen, am Ende befuhr ihre Dschunke aus Geldmangel den Bodensee. Die Filme Ottingers entstanden mit kleinen Budgets, haben jedoch bislang erstaunlich wenig Patina angesetzt.

Ihre Spielfilme bilden einen seltsam zeitlosen Kosmos, der von der unverwechselbaren cineastischen Handschrift ihrer Kamera, von klaren Farben, monumentalen Landschaften, expressionistisch anmutendem Personal und märchenhaften Narrationen lebt. Die Welt der Gender-Grenzgängerinnen, der Retro-Ikonen, zirzensischen Schauder-Attraktionen, kurz: der gewaltige Resonanzraum des expressionistischen Stummfilms, der bildenden Künste und der elaborierten Theaterformen ist ihre Inspirationsquelle. Das weite Feld des internationalen Kulturaustauschs der letzten zwei Jahrhunderte, das existenzielle Erfahrung jenseits von Eroberungsfeldzügen und Kolonialkriegen ermöglichte, ist ihr Thema.

Ulrike Ottinger zeigt auf ihr Skizzenbuch, das den roten Faden durch ihr aktuelles Großprojekt legt. „Floating Food“, ihre Ausstellung im Rahmen der Asien-Pazifik-Wochen im Berliner Haus der Kulturen der Welt, soll assoziativ die Fluss- und Meereswege nachziehen, auf denen Händler in archaischen Zeiten den Austausch organisierten. So will sie eigene Fotografien, Filmepisoden und Installationen mit historischen Reiseschilderungen und Kultobjekten in Beziehung setzen, um die Bedeutung der „Gabe“ zu feiern.

Dieses Element der traditionellen asiatischen Kunst, Götter, Dämonen und irdische Gäste zu bewirten, hat sie in unzähligen Farbfotografien dokumentiert und in ihren Filmen reinszeniert. Speisen, die roh oder gekocht wie kleine Kunstwerke dargeboten als schwimmende Opfergaben auf Teichen, Flüssen oder dem Meer freigesetzt werden, faszinieren die Künstlerin. Jetzt gibt ihr die Ausstellung in Berlin Gelegenheit, ihr Leitmotiv in Filmen, Fotografien, Installationen und mit der Präsentation von Kultobjekten anschaulich zu machen.

Expedition in die Mongolei

Drei große Kisten voller Dinge, die einer Nomadenfamilie nützlich sind, nahm Ulrike Ottinger mit, als sie in den späten achtziger Jahren zu Expeditionen in die Innere und Äußere Mongolei aufbrach. Gaben, nicht Geld, ermöglichten ihre Filme „Johanna d’Arc of Mongolia“ und „Taiga“.

Nächtelang habe sie romantische Lieder, die sie von ihrer Mutter kannte, zum Besten gegeben, die Mongolen antworteten mit ihrer Musik und so kam man sich in kulturellen Missverständnissen näher. „Man muss unterhalten, man wird unterhalten, und darum geht es“, sagt die Filmemacherin.

Die Faszination für Reiseabenteuer, die in historische Tiefen und andere Kulte abtauchen, erfasste sie schon als Kind. Ottinger, Tochter eines Kunstmalers und einer Übersetzerin, erlebte in der Kindheit in ihrer Heimatstadt Konstanz den lebendigen Austausch mit den Künstlern und Intellektuellen, die als französische Militärs nach dem zweiten Weltkrieg in Süddeutschland stationiert waren und im offenen Elternhaus ein und aus gingen.

1962, mit zwanzig Jahren, ging sie nach Paris und lernte die Gravüre- und Siebdrucktechnik im legendären Atelier von Johnny Friedländer. Sie hörte die Vorlesungen von Derrida, Bourdieu und Louis Althusser, tanzte die Nächte durch und verkehrte im Kreis der deutschen Exilanten, die sich in der antiquarischen Buchhandlung Calligrammes um Fritz Picard sammelten. Die vollkommen unterschiedlichen Milieus der französischen Linken, der Generation der Exilanten und der Cineasten in der Cinémathèque Française waren das prägende Element ihrer ersten Jahre als Künstlerin, über das sie gern einen autobiografischen Film drehen würde.

Damals entstanden großformatige Gemälde, die Ulrike Ottinger inzwischen nach Berlin geholt hat, um sie in dem anderen großen Projekt dieses Herbstes auszustellen, einer Ausstellung in der Neuen Gesellschaft Berliner Künstler im Rahmen der Verleihung des Hanna-Höch-Preises im November.

Ihre Arbeit, spielerisch zu assoziieren und ungewöhnliche Dinge zu kombinieren, so dass plötzlich Geschichten entstehen, sieht Ulrike Ottinger als innere Verbindung zu ihren künstlerischen Ahnen. „Wenn es helfen würde, die Welt so zu zeigen, wie sie ist, dann sähe sie anders aus“, begründet sie ihre Ablehnung planer psychologischer Alltagsdramaturgien. Sucht sie die Wunder, den magischen Zauber ihrer Bildfindungen, weil sie die Wirklichkeit transzendieren? „Nein“, antwortet Ulrike Ottinger, „mich interessiert, wie wir denken, wie die Synapsen angeregt werden, wie ich den Bilderfundus in meinem Gehirn, den ich nicht immer kontrolliere, assoziativ unterstreichen und inszenieren kann. Das ist ein sehr realer Arbeitsprozess, der Bilder für andere deutlich machen soll. So funktioniert das, was ich mache!“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen