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Eine feste Größe im System

ARMENSPEISUNGEN

Und wieder ließ Frank Zander es krachen. 2.800 Obdachlose und Arme lud der Schlagersänger am Montag zu weihnachtlichem Gänsebraten mit Rotkraut und Klößen ins Neuköllner Estrel Hotel. Seit 20 Jahren organisiert er dieses Fest mithilfe von Sponsoren und sozialen Trägern. Der Bedarf ist da: 15 Prozent der Berliner gelten als armutsgefährdet: Das heißt, sie haben weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommens zur Verfügung – weniger als 800 Euro im Monat.

Eine weitere Institution der Armenspeisung feiert diese Tage Jubiläum: Seit zehn Jahren gibt es das Projekt „Laib und Seele“ der Berliner Tafel, bei dem Ehrenamtliche in Kirchengemeinden Essen an Bedürftige verteilen. Die Initiative startete Anfang Januar 2005 mit drei Ausgabestellen. Inzwischen unterstützt die Berliner Tafel nach eigenen Angaben an 45 Ausgabestellen pro Monat 48.000 Bedürftige mit Lebensmittelspenden.

Eine beeindruckende Zahl, die allerdings Fragen aufwirft. Natürlich freuen sich die Menschen über das Essen, zumal die Armut in der gleichen Zeit an die Mittelschicht herangerückt ist, also zugenommen hat. Und natürlich ist es gut, wenn nicht alle Lebensmittel mit abgelaufenem Haltbarkeitsdatum sofort im Müll des Supermarkts landen, sondern noch verbraucht werden.

Andererseits ist die Berliner Tafel inzwischen eine feste Größe bei der Versorgung der Armen in der Stadt. Sie erfüllt zumindest teilweise die Aufgabe der Daseinsvorsorge, die eigentlich dem Sozialstaat obliegt. Kritiker werfen der Tafel deshalb vor, den Staat aus der Pflicht zu nehmen. Das mag verkopft anmuten – je mehr Menschen die Organisation aber erreicht, je präsenter sie ist, desto gewichtiger wird dieses Argument.

Frank Zanders alljährliches Weihnachtsessen kann man bei dieser Debatte getrost außen vor lassen. Eine Gänsekeule pro Jahr zählt ganz sicher nicht zur Daseinsvorsorge. ANTJE LANG-LENDORFF

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