: In der Sperrzone
Am Wochenende hat Bremen zum ersten Mal das Verkehrskonzept Weser-Stadion umgesetzt. Um Anwohner zu schützen, durften vor, während und nach dem Fußballspiel nur noch Fahrzeuge mit Sondergenehmigung an das Stadion fahren
Gesperrte Straßen nützen unter anderem denjenigen, die sie trotz Sperrung benutzen dürfen. Zum Beispiel dem Mannschaftsbus der Bayern: Wie aus dem Nichts stand er plötzlich am Samstag um kurz nach zwei an der Kreuzung. Gleichzeitig fühtren gesperrte Straßen dazu, dass der Verkehr schwer abfließt, und für den Bayern-Bus bedeutete das: Stehenbleiben. Vor den Augen der Fans. Die sahen, dass sich die Spieler im Bayern-Bus apathisch gegenüber sitzen und dass die einzige Bewegung im Bus von Hamit Altintop kommt, der vor so einem Spitzenspiel Musik hört. Dabei sind seine Kopfhörer weiß und sein Kopf geht horizontal im Takt vor und zurück. Das ist kein Hip-Hop-Nicken, sondern ein Elektro-Grooven. Wahrscheinlich. Zu einem Blickkontakt mit den Fans aber reicht es nicht: Die Spieler stieren vor dem Spiel ins Leere und wollen unbehelligt bleiben. Um während des Spiels die Bremer zu behelligen – und aus dem Vollen zu schöpfen. KLI
VON ROBERT BEST
Samstag, 12. 59 Uhr, Bremen: Osterdeich, Ecke Sielwall – ein Kilometer vorm Weserstadion, noch zweieinhalb Stunden bis zum Anpfiff des Bundesligaspiels Werder Bremen – Bayern München, und noch gute vier Stunden, bis das bittere 0:4 fallen soll: Drei grünweiß behängte Fan-Autos fahren auf Parkplatzsuche Richtung Stadion. Hinter ihnen – jetzt ist es 13 Uhr – schließt ein lächelnder junger Mann in neongelber Weste eine Art Schranke: „Hier ist dicht!“, ruft er dem nächsten Fahrer zu. Auch die Ampelanlage schaltet ab.
Werder Bremen testet ein neues Verkehrskonzept. Die Fans sollen mit Bus und Bahn anreisen: 50 zusätzliche Wägen stehen bereit, auch die Parkflächen für den Park & Ride wurden ausgeweitet. Vor allem soll das Wohngebiet rund ums Weserstadion drei Stunden lang vom Autoverkehr verschont bleiben – von zweieinhalb Stunden vor bis kurz nach Anpfiff jeden Spiels. Natürlich gibt es Ausnahmen: Taxen, Krankenwagen, Polizei, Anwohner, Gewerbetreibende, Reisebusse, schwerbehinderte Fans, VIP-Karteninhaber und alles, was nicht mehr als zwei Räder hat.
So war denn auch eine Angestellte des von Werder engagierten Sicherheitsdienstes erstaunt, wie viel Verkehr noch auf dem Osterdeich Richtung Stadion rollte. Sie und ihre gut 50 Kollegen befragten sehr nett jeden einzelnen Fahrer, der an einer Kreuzung Richtung Sperrgebiet wartete, wo er denn hin wolle und ob er einen Berechtigungsschein besäße, wie es ihn in etwa 2000-facher Ausfertigung gibt. Wenn nicht, dann blieb ihm immer noch die Chance, die Visage von Werder-Manager Klaus Allofs zu haben oder zuversichtlich über die Kreuzung zu brausen und dem überraschten jungen Mann an der Absperrung ein herrisches „Platz da!“ zu vermitteln. Mancher kam durch.
Unausgereift präsentierten sich nämlich die Kommunikationsstrukturen: Wer die Fahrer befragt, muss durch die Luft zum einen der Polizei auf der Kreuzung und zum anderen dem Schrankenwart die Richtung des Vehikels signalisieren. Dass kein Chaos entstand, war denn auch dem ein oder anderen zugedrückten Auge zu verdanken. „Wenn die Ampeln aus sind, sind die alle hilflos. Hütchen müsste man aufstellen!“, brummte ein Polizist. Und überhaupt: „Ein paar ganz schlaue Ingenieure“ seien das, die sich das System ausgedacht hätten. Auch die so Bespaßten hielten sich „aus professionellen Gründen“ mit Argusauge und schnellem Rad am Rande der Absperrungen auf und überwachten den Erfolg ihrer Erfindung. Den bestätigten am Ende auch fast alle Beteiligten. Die Sicherheitsleute zierten sich trotz angeblichen Redeverbots nicht, die Polizei, die „gesitteten Fahrer“ und sich selbst zu loben. Natürlich: Einige Fälle von rückwärts in Einbahnstraßen fahrenden Rowdies gebe es, aber es sei eben noch nicht alles perfekt. Das hat auch ein türkischer junger Mann auf dem Weg zu einer Hochzeit zu spüren bekommen: Er rechnete mit der Ausnahmeregelung, die Ortsamtsleiter Robert Bücking in Aussicht gestellt hatte, fragte höflich, ob er die Feier trotz des Werderspiels ansteuern dürfe – und wurde abgewiesen.
Ungemütlich klingt, was Anwohnerin Angelika Pensky berichtet: Ein Chaos habe zu verkehrskonzeptlosen Zeiten geherrscht – doch beruhigt, ja befriedet sei es nun. Ihr und dem lautstarken Protest anderer Anwohner gegen die Überlastung des Quartiers ist das Einlenken von Werder Bremen schließlich auch zu verdanken. Dessen Verantwortliche denken indes schon einen Schritt weiter: Die Straßensperren sind auch Vorgriff auf einen ambitionierten Stadionausbau. 50.000 Zuschauer – etwa 10.000 mehr als bisher – sollen ab Sommer 2008 im Stadion Platz finden. Auf die Stadtteile Steintor und Peterswerder kommt also einiges zu.
Doch pöbelnde oder in Vorgärten pinkelnde Fans hat Marion Rinken am Samstag erstmals nicht erlebt: „Eine wahre Anwohnerruhe“ sei eingekehrt, freut sich die Mittfünfzigerin, die ein kleines Hotel in der Sperrzone betreibt. Es sei allerdings nur eine Frage der Zeit, bis die Fans einfach ein paar Stunden vor der Sperrzeit anreisen, sagt indes Anwohnerin Almuth Timm. Ein paar Meter neben dem efeuumrankten Sonnenplätzchen der beiden Damen steht in der Tat ein BMW – Kennzeichen: M. Sperrbeginn vier Stunden vor Anpfiff sei das Minimum, findet Timm, doch dieser Vorschlag sei bei einem Podiumsgespräch mit Gelächter quittiert worden. Timm hofft auf ein „Nachlese-Gespräch“.
Herzlich lachen aber ihrerseits die Damen, als eine Straße weiter ein falsch parkender Wagen abgeschleppt wird: „Das wird teuer.“
leibesübungen SEITE 18
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen