: Der Tacker neben dem Riesenphallus
NEUBAU In Zentrum von Barcelona schreitet die Stadtentwicklung voran – jetzt hat der 89-jährige Architekt Oriol Bohigas mit dem Museu del Disseny ein Designzentrum gebaut, das die Bevölkerung an eine Heftmaschine erinnert
VON KLAUS ENGLERT
Die Barceloner hatten einige Probleme, sich mit ihrem neuen Kulturtempel anzufreunden: „Heftmaschine“ nennen sie wenig schmeichelhaft das gerade eröffnete Museum, das sich dem Design widmet. Dagegen stehen die hohen Erwartungen, die Architekten und Stadtplaner an das Museum knüpfen. Man wollte sich an die Spitze der spanischen Designentwicklung stellen und den Dauerrivalen Madrid hinter sich lassen. Und vor allem dachte man an ikonenhafte Architektur jenseits der vom globalen Tourismus überrannten Sagrada Família im traditionellen Eixample.
Das neue, fulminante Zentrum an der Plaça de les Glòries sollte neue, verwegene Ikonen hervorbringen. Der Abschluss der Bauarbeiten an dem Platz dürfte zwar noch einige Jahre auf sich warten lassen, aber bereits jetzt tummeln sich einige von Barcelonas spektakulärsten Bauwerken am unteren Ende der Plaça de les Glòries: Über dem Museumsneubau ragt wie ein schimmernder Riesenphallus Jean Nouvels Torre Agbar empor, der eigentliche Magnet der mediterranen Sehnsuchtsstadt. Und gegenüber dem Museumsvorplatz erhebt sich die in der Sonne spiegelnde Dachkonstruktion des gerade vollendeten Flohmarkts Mercat dels Encants.
Als Oriol Bohigas, der 89-jährige Architekt, das Museu del Disseny um die Jahrhundertwende entwarf, war man gerade damit beschäftigt, die Avenida Diagonal von der Plaça de les Glòries bis hinunter zum Meer zu verlängern. Damals träumten Architekten und Bürgermeister noch in der Boomphase von stadtkrönender Spektakelarchitektur. Doch Zeiten und Stile haben sich verändert. Dass mittlerweile eineinhalb Jahrzehnte vergangen sind, sieht man dem Designmuseum leider an.
Als Bohigas mit dem Bau beauftragt worden war, dürfte bereits offenkundig gewesen sein, dass der Grandseigneur unter Barcelonas Architekten seine innovativste Zeit hinter sich hatte. Tatsächlich knüpfte er als führender Kopf des Avantgardezirkels Grup R in den späten fünfziger und frühen sechziger Jahren an der modernen Architektur der legendären GATCPAC um Josep Lluís Sert an, der die Franco-Diktatur ein jähes Ende bereitete. Bohigas brillierte in den Jahren, in denen sich das autoritär regierte Spanien wirtschaftlich öffnete, durch expressiv gestaltete Wohnblocks, die den vielen nach Barcelona strömenden Wanderarbeitern zugute kamen. Auch als einflussreicher Stadtbaurat, der in den Achtzigern zusammen mit dem Bürgermeister Pasqual Maragall das weltweit anerkannte „Modell Barcelona“ begründete, ist ihm ein Ehrenplatz in der katalanischen Geschichte sicher.
In Liegestühlen auf dem Museumsplatz
Mittlerweile haben sich die Barceloner an die „Heftmaschine“ – hierzulande würde man wohl Tacker sagen – gewöhnt, die zwischen dem traditionellen Clot-Viertel und dem rasant sich verändernden Poblenou emporragt. Noch vor einigen Wochen machten sich Sonnenhungrige auf dem Museumsplatz auf Liegestühlen und unter blauen Sonnenschirmen bequem. Man vergnügte sich auf einem Pflasterstrand, der des Nachts in changierenden LED- Leuchtstreifen erstrahlt. All das ist Teil der neuen städtischen Charmeoffensive. Und plötzlich sieht der graue mehrstöckige Museums-Riegel nicht mehr ganz so grau aus.
Tatsächlich ist Bohigas’ Designmuseum ein Gebäude, das sich wohltuend von den Gespreiztheiten und Farborgien der Torre Agbar abhebt. Das liegt nicht nur an der metallverkleideten grauen Fassade, den dynamisch verlaufenden Fensterbändern an der Längsseite, dem bis weit auf die Plaça de les Glòries auskragenden Baukörper oder dem starken Gefälle, aus dem die unteren Museumsgeschosse einen überraschenden Raumgewinn schöpfen. Das Designmuseum ist ein Gebäude, das sich bauästhetisch nicht erschöpfend beurteilen lässt, da es Bohigas vornehmlich darum ging, durch den Museumsbau ein Höchstmaß an öffentlichem Stadtraum zurückzugewinnen.
Nun, nach der offiziellen Museumseröffnung, lässt sich feststellen, wie stark sich die Innenwahrnehmung von dem eingeprägten Bild des sperrigen Baukörpers doch unterscheidet. Wer das Designmuseum über den großzügigen hinteren Eingang betritt, dort, wo das Gebäude fast 15 Meter bis zu einem künstlichen See hinabreicht, taucht in ein erstaunlich offenes Foyer ein, das zu den übrigen Service-Einrichtungen des Museums überleitet. Tatsächlich versteht sich das Museu del Disseny vornehmlich als Kulturzentrum – mit öffentlicher Stadtteilbibliothek, einem Dokumentationszentrum, einer Stiftung, die Preise für Architektur und Design vergibt, und dem Centro de Diseño, das sich der wirtschaftlichen Design-Förderung verschrieben hat. Im Untergeschoss breitet sich dann noch ein 4.000 Quadratmeter großer Wechselausstellungssaal aus, der beispielsweise die Schau „Best Design of the Year“ präsentiert. Ein weiterer Raum für Wechselausstellungen eröffnet sich unter dem Dach des achtgeschossigen Museums, des Weiteren ein großzügiges Auditorium mit 320 Sitzen. Nachdem sich, als Folge der anhaltenden Wirtschaftskrise, die Eröffnung immer wieder hinausschob, lässt sich jetzt der reichhaltige Schatz bewundern, der aus verschiedenen Sammlungen zusammengetragen wurde. Die Museumsleitung beabsichtigt, ständig eine Auswahl von 2.000 Einzelexemplaren zu präsentieren, die einen Überblick über spanisches Kunsthandwerk und Industriedesign gibt.
Noch vor einigen Monaten wies der auskragende Museumskeil auf die kreisförmige Autobahn der Plaça de les Glòries. Doch die Zeiten der verkehrsgerechten Autostadt Barcelona sind vorbei, die Hochautobahn wurde abgerissen. Im Februar vergangenen Jahres wurde in einem internationalen Architekturwettbewerb entschieden, den jahrzehntelang vom Verkehr dominierten Platz zu begrünen. „Pflanzen-Baldachin“ nennt sich der siegreiche Entwurf des französisch-katalanischen Teams Agence Ter und Ana Coello de Llobet. Sie möchten nicht nur die Plaça de les Glòries renaturieren, sondern auf einer Gesamtfläche von 15 Hektar grüne Schneisen durch das Großstadtdickicht schlagen. Oriol Bohigas hatte bereits vor einem Vierteljahrhundert Barcelona anlässlich der Olympischen Spiele neu erfunden. Nun will sich die Stadt ein weiteres Mal verändern. Die selbst ernannte Welthauptstadt der Architektur wird grün.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen