piwik no script img

„Das Volk muss weg!“

DEMO In Berlin wollen selbst ernannte Patrioten im Namen des „Volkes“ vom Erfolg der Pegida in Dresden profitieren. Doch wird der „Aufstand“ mit viel guter Laune blockiert

Es dauert hier noch, das wird heute nichts mehr mit dem Brandenburger Tor

VON MARTIN KAUL, SOPHIE KRAUSE UND CLAUDIUS PRÖSSER

„Wir sind das Volk! Wir sind das Volk!“, schreit also das „Volk“. Das „Volk“ sind die mit den selbst gemalten Schildern. Auf einem steht: „Ich esse gerne Schweinefleisch vom Grill. Bin ich jetzt Nazi?“ Und ein paar Meter weiter da drüben, gleich nebenan, hat sich eine stattliche Menge „Gesocks“ postiert. Einige sehen lotterig aus, andere sind dunkel vermummt, manche tanzen. Sie haben einen Wall gebildet, ihre Arme einander untergehakt, und jetzt stehen sie mitten auf der Demonstrationsroute einfach im Wege herum zur Blockade.

„Wir sind die Mauer“, rufen sie frech. Sozialisten halt, Antidemokraten.

Und dann rufen sie: „Das Volk muss weg!“

Es ist Montagabend, Feierabendzeit, und in der Dämmerung, am Fuße des Roten Rathauses, wartet ein Prominentenauflauf von Hauptstadtjournalisten darauf, eine Erklärung zu erhalten. In Dresden geht seit Wochen auch so ein „Volk“ auf die Straße: Muslimfeinde, Rechtsausleger, Völkische. Sie nennen sich Pegida, das steht für „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ – und wie in Köln, Münster, Hamburg und anderswo ist für diesen Montagabend ein ähnlicher Protestaufzug in Berlin geplant. Arbeitstitel: Bärgida. Das ist kein Witz.

Neun Deutschlandfahnen sind also nun hier zu zählen, und im Moment allerdings, zu Beginn dieses Abends, sind die Journalisten eindeutig in der Überzahl. Großreporterin Carolin Emcke ist unterwegs, und eine japanische TV-Journalistin befragt hier einen älteren Herren und dort einen Hooligan zu ihren Ansichten in Sachen Migration und so weiter. Besonders wichtig ist: dass mindestens einer dabei ist, der den Demokraten spielt. Es geht um Demonstrationsfreiheit und ein rhetorisches Willkommen an all die fleißigen, integrierten Migranten, denen niemand was wolle.

Mehr als ein paar Dutzend Bärgida-Demonstranten sind allerdings noch nicht aufzutreiben. So ist das ja bei gesellschaftlichen Phänomenen manchmal: Wenn sie neu sind, lässt sich der Hypegehalt einer Debatte mitunter an einem Zahlenverhältnis aufzeigen. Es ist das Zahlenverhältnis von Berichterstattern zu ihren Berichtsobjekten. Später, okay, kommt schon noch ein bisschen mehr „Volk“. „Volksgröße“ letztlich: 300. Und das „Gesocks“ da draußen, hinter der Polizeibarriere, ist ganz deutlich in der Überzahl. „Wir sind die Mauer! Das Volk muss weg!“

Das „Gesocks“ hat gute Laune. Von hier, unter den Deutschlandfahnen zwischen den älteren Herren und dem Mann mit dem Hogesa-T-Shirt, lässt sich das nur erahnen. Sie hüpfen und tanzen da draußen und rufen: „Wer nicht hüpft, der ist ein Nazi, hey, hey.“

Das „Volk“ ruft: „Die Straßen frei der deutschen Jugend“.

Also Polizei, nun mach doch mal was. Demonstrationsfreiheit, das ist ein Grundrecht. Es soll ja schließlich noch zum Brandenburger Tor gehen.

Dort sind rund 500 Leute angekommen – migrantisches „Gesocks“, nichtmigrantisches „Gesocks“. Leute halten Schilder hoch: „Stoppt die Hetze gegen den Islam“. In diesem Moment geht zwei Kilometer entfernt am Brandenburger Tor das Licht aus, heißt es. Das hat der Regierende Bürgermeister beschlossen.

Geht denn da vorne nichts voran? Wieso unternimmt die Polizei denn nichts?

Es dauert hier noch, das wird heute nichts mehr mit dem Brandenburger Tor. Ein paar Beamte räumen den ein oder anderen Gegendemonstranten aus der Blockade. Doch am Ende tritt das „Volk“ auf der Stelle. Das „Gesocks“ ist in der Überzahl.

Der Tag SEITE 2

Meinung + Diskussion SEITE 12

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen