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Rache für Gezi-Opfer

TÜRKEI Die linksradikale Organisation DHKP-C bekennt sich zu einem Anschlag auf Polizisten in Istanbul. Sie kündigt weitere Angriffe auf die Regierungspartei AKP an

Es ist zunehmend unklar, was die DHKP-C mit ihren Anschlägen erreichen will

AUS ISTANBUL JÜRGEN GOTTSCHLICH

Aus Rache wegen des von der türkischen Polizei getöteten Jugendlichen Berkin Elvan hat die linksrextremistische Organisation DHKP-C am Montagabend einen Anschlag auf eine Polizeistation im Istanbuler Touristenviertel Sultan Ahmet verübt. Dabei wurde ein Polizist getötet und ein weiterer schwer verletzt.

Mit einer Erklärung am Dienstag übernahm die DHKP-C die Verantwortung für das Attentat. Dabei hatte sich eine Selbstmordattentäterin in die Luft gesprengt. Die Frau, deren Identität entgegen anderslautenden früheren Meldungen noch ungeklärt ist, war gegen 17.30 Uhr mit einem Tschador bekleidet auf die als Touristenpolizei ausgezeichnete Polizeiwache gegenüber der Hagia Sophia zugegangen und hatte in schlechtem Englisch behauptet, sie hätte ihre Handtasche im Gebäude liegen lassen. Als die Polizisten am Eingang der Wache sie dennoch durchsuchen wollten, zündete sie einen am Körper befestigten Sprengsatz und nahm den Polizisten Kenan Kumas mit in den Tod.

Wegen der Aufmachung der Frau war anfangs spekuliert worden, der Anschlag sei von Anhängern des Islamischen Staats (IS) verübt worden, die weite Teile des türkisch-syrischen Grenzgebietes kontrollieren und bereits überall in der Türkei geheime Zellen gegründet haben sollen. Schon bald wurden aber Vermutungen laut, dass die DHKP-C hinter dem Anschlag steckt. Denn erst vor einer Woche war ein Anschlag der Organisation auf den Dolmabahce-Palast, wo Ministerpräsident Ahmet Davutoglu seinen Istanbuler Amtssitz hat, misslungen, weil eine Handgranate nicht zündete.

Dies wurde am Dienstag von der DHKP-C bestätigt. Zur Begründung für die Anschläge führt die Organisation unter anderem die Polizeigewalt während der Gezipark-Proteste im Sommer 2013 an. Dabei war Berkan Elvan, auf den die DHKP-C sich in ihrem Bekennerschreiben bezieht, von einer Tränengasgranate so schwer am Kopf verletzt worden, dass er nach einem monatelangen Koma im Februar 2014 verstarb.

Mit der Drohung „Niemand kann euch schützen“ kündigte die Gruppe weitere Anschläge gegen die regierende AKP an, der sie in ihrer Erklärung auch schwere Korruption vorwirft. Tatsächlich versucht die türkische Polizei bereits seit mehr als 30 Jahren vergeblich, die Gruppe zu zerschlagen. DHKP-C ist nach eigenem Verständnis eine marxistische Gruppe, die sich in den 80er Jahren von Devrimci Sol, der Revolutionären Linken, abgespalten hat. Bekannt wurde sie damals durch einen Mord an einem der reichsten türkischen Industriellen.

Mit einem dramatischen Hungerstreik im Dezember 1999 sorgte die Gruppe für politische Schlagzeilen. Seit dieser Hungerstreik mit Gewalt beendet wurde und dabei über 30 Häftlinge getötet wurden, taucht die DHKP-C praktisch nur noch als angebliche Urheberin von Attentaten auf. Der spektakulärste Anschlag zuletzt war ein Selbstmordattentat auf die US-Botschaft in Ankara im Februar 2013.

Das mit dem Attentat am Montagabend der türkische Tourismus getroffen werden sollte, weil die Polizeistation in Sultan Ahmet eine extra für Touristen eingerichtete Anlaufstelle ist, kann allerdings ausgeschlossen werden. Anschläge der DHKP-C haben sich bislang immer gegen staatliche Sicherheitsinstitutionen der Türkei oder gegen die „imperialistischen“ USA gerichtet und nie gegen Touristen oder die „normale“ Bevölkerung. Die DHKP-C wirkt wie ein Überbleibsel der Auseinandersetzungen der 70er Jahre. Dabei wird zunehmend unklarer, was sie mit ihren Anschlägen eigentlich erreichen will.

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