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Flucht nach vorne

Das Theater Lübeck legt kurz vor Saisonbeginn ein Sparkonzept für die nächsten vier Jahre vor. Denn die Macher wollen nach turbulenten, teils sehr defizitären Jahren endlich Planungssicherheit haben

Das Projekt „Wagner trifft Mann“ soll den wechselseitigen Einfluss beider Künstler illustrieren

Seinen Auftritt vor dem Kulturausschuss der Lübecker Bürgerschaft hatte der Theater-Geschäftsführer Christian Schwandt gut vorbereitet. Nicht nur, dass die Kalkulationen Hand und Fuß haben mussten – die Frage war auch, ob die kulturpolitische Strategie aufgehen würde. Denn es kommt nicht alle Tage vor, dass der Geschäftsführer eines Theaters kurz vor der Spielzeiteröffnung öffentlich über den Besucherrückgang in der vergangenen Spielzeit spricht, das damit verbundene Defizit im Theaterhaushalt benennt und aus freien Stücken gleich selbst ein Sparkonzept für sein Haus vorlegt. Der erste Vorhang ist noch nicht einmal hochgegangen, da ist das Theater schon wieder mit seinen Finanzproblemen im Gespräch.

Denkbar ist das derzeit nur in Lübeck. Am dortigen Stadttheater ist Christian Schwandt einer von drei neuen Leitern. Neben Geschäftsführer Schwandt sind es Roman Brogli-Sacher als Operndirektor und Pit Holzwarth als Schauspieldirektor, die das Ruder übernommen haben. Die drei beerben den vorherigen Generalintendanten Marc Adam, der nach Bern gewechselt ist.

Adam hinterlässt aus der vergangenen Spielzeit ein Defizit von insgesamt 250.000 Euro. Das wiederum entstand erstens durch einen Besucherrückgang von 163.000 in der Spielzeit 2005/2006 auf 144.000 in der Saison 2006/2007. Und zweitens durch die eine oder andere sehr teure Musiktheaterproduktion, die in Kombination mit ausbleibenden Besuchern doppelt zu Buche schlug.

Darüber hinaus aber steht Adam – neben manchem künstlerischen Erfolg – für eine Zeit, in der das Lübecker Theater ständig mit Finanzproblemen zu kämpfen hatte. Defizite am Ende der Spielzeit waren seit Adams Amtsantritt im Jahr 2000 eher die Regel, als die Ausnahme. Außerdem begleitete die Arbeit der Lübecker Theatermacher eine andauernde, zermürbende Spardiskussion mit der Stadt, die die Zuschüsse immer wieder kürzen wollte – bis beispielsweise die Theaterexperten vom Bund der Steuerzahler so weit gingen, eine Kooperation zwischen dem Lübecker und dem Kieler Theater zu fordern. Der Franzose Adam verließ Lübeck tief enttäuscht von der Lübecker Kommunalpolitik. Er habe gedacht, in Deutschland gebe es noch Finanzierungssicherheit für die Theater, sagte er zum Abschied.

Genau diese Sicherheit will der neue Geschäftsführer Schwandt nun herstellen, und zwar durch eine Flucht nach vorne. „Der Sparkurs von Lübeck ist notwendig, weil Lübeck eine Verschuldung von über 230 Millionen Euro hat“, sagt Schwandt. Er ist bereit, mitzusparen, hat dafür allerdings seine eigenen Ideen. Diese präsentierte er dem Kulturausschuss als Gesamtpaket – und hofft nun auf eine Zustimmung der Bürgerschaft zu seinem Modell.

Die Bürgerschaft nämlich hat beschlossen, die Zuschüsse für alle städtischen GmbH bis 2010 um 20 Prozent zu kürzen. Schwandt dagegen sagt, das Theater könne bis 2011 mit insgesamt zehn Prozent weniger Zuschüssen durch die Stadt auskommen. Weiter gehende Einsparungen würden den Spielbetrieb unmöglich machen. Allerdings könne das Theater die 250.000 Euro Defizit durch „einen attraktiven Spielplan“ und eine Erhöhung der Erlöse aus Kartenverkäufen um zehn Prozent selbst ausgleichen. Außerdem bezieht das Theater die für 2008 zu erwartenden Erhöhungen der Tariflöhne der Theaterleute in seine Rechnung mit ein und fängt diese selbst auf. Das Geld dafür will Schwandt beschaffen, indem er bis 2011 insgesamt 24 von 283 Vollzeitstellen abbaut. Außerdem wolle er mit ein paar Premieren weniger pro Spielzeit auskommen. Genaue Zahlen und Pläne, in welchem Bereich die Stellen gestrichen werden sollen, gebe es noch nicht, sagt Schwandt.

„Wir versuchen für diese ganzen Probleme eine Perspektive zu entwickeln, damit wir nicht jedes Jahr wieder die Arme hochreißen müssen“, sagt Schwandt. Wobei die Strategie, auf die Stadt von sich aus mit Kürzungsvorschlägen zuzukommen, nur einen Teil des Gesamtetats betrifft: Der städtische Zuschuss liegt derzeit bei 6,233 Millionen Euro. Der Gesamtetat der Lübecker Theater GmbH, bei der auch noch die Theaterfreunde Lübeck, die Landkreise Herzogtum Lauenburg und Nordwestmecklenburg sowie die Kaufmannschaft zu Lübeck Gesellschafter sind, liegt bei 17,5 Millionen Euro.

Und die sollen in eine Theaterkunst investiert werden, die vom Publikum wieder deutlich stärker wahrgenommen wird, als es in den letzten Monaten der Fall war. Mit vier Premieren startet das Theater Lübeck an diesem Wochenende in die Spielzeit, als da sind: „Die Orestie“ von Aischylos am heutigen Freitag, der „Reisekrimi“ Orientexpress von Renato Grünig und der Bukowski-Abend „Huren wollen keine Ohren“ am Sonntag. Die Oper startet am Sonnabend mit Richard Wagners „Rheingold“. Speziell im Zusammenhang mit „Rheingold“ folgt dann am 29. September die Premiere einer Bühnenversion von Thomas Manns „Buddenbrooks“.

„Rheingold“ und die „Buddenbrooks“ sind die beiden ersten Beiträge zu dem zentralen Spielplanprojekt „Wagner trifft Mann“: Bis 2011 will das Theater pro Jahr jeweils eine Oper aus Richard Wagners „Der Ring des Nibelungen“ und eine Dramatisierung eines Thomas-Mann-Romans auf die Bühne bringen. Die Idee ist, zu zeigen, in welchem Maße Wagner Thomas Mann beeinflusst hat. Mann nämlich habe seine zentralen Wagner-Erlebnisse im Lübecker Theater gehabt. Mit dem ambitionierten Projekt wolle die Stadt nun unter Beteiligung der Lübeck und Travemünde Marketing GmbH „Wagner- und Mannanhänger aus ganz Deutschland nach Lübeck holen“, sagt Kultursenatorin Annette Borns (SPD). 20.000 zusätzliche Theaterbesucher sollen es übrigens insgesamt werden, sagt Schwandt. Innerhalb von vier Jahren. KLAUS IRLER

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