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Kommissar Zufall fand Chinarestaurant-Killer

Ein unscheinbarer Zettel war der Schlüssel zur Aufklärung des siebenfachen Mordes von Sittensen. Die Polizei suchte eigentlich nach Menschen, die sich illegal in Deutschland aufhielten, oder Drogenschmugglern

Es ist purer Zufall, dass einer der größten Mordfälle Norddeutschlands offenbar aufgeklärt ist. Eine Autobahnkontrolle hat dazu geführt, dass die mutmaßlichen Mörder von Sittensen der Polizei ins Netz gegangen sind. Im Prozess um den siebenfachen Mord, der zurzeit vor dem Landgericht Stade verhandelt wird, sagten gestern die Polizisten aus, die die ersten beiden Verdächtigen bei einer Routinekontrolle schnappten. „Von dem Mord in Sittensen hatte ich am Morgen im Radio gehört“, berichtete der Polizist Helge T. „Damit habe ich die Herrschaften hier aber zunächst nicht in Verbindung gebracht.“

Es war am 5. Februar, am Tag nachdem im Chinarestaurant „Lin Yue“ im niedersächsischen Sittensen sieben Menschen ermordet worden waren: Gefesselt, misshandelt und erschossen. Da es nach einer kaltblütigen Hinrichtung aussah, vermutete die Polizei zunächst eine Rachetat unter asiatischen Mafiagruppen.

Unterdessen versahen Beamte der Autobahnpolizei an der B 213 bei Wildeshausen ihren Dienst. In Zivil saß Helge T. mit einem Kollegen im Dienstfahrzeug. Gegen 13 Uhr fiel ihnen ein blauer Polo mit Dürener Kennzeichen auf, ein Mietwagen, mit zwei Vietnamesen darin. Warum? „Die Strecke wird oft für Schleusungen oder Drogentransporte benutzt, und dafür benutzen die Täter oft Mietwagen“, erklärte Helge T. vor Gericht. Außerdem seien im Umkreis viele fleischverarbeitende Betriebe, in denen Vietnamesen arbeiten – oftmals illegal. Deshalb verfolgten die Zivilpolizisten das Auto bis zu einem Parkplatz und kontrollierten Fahrzeug und Insassen. Beide hatten eine große Summe Bargeld bei sich, einer zudem Kokain. Darum mussten sie mit aufs Revier.

Kaum Beachtung schenkten die Beamten hingegen einem Zettel, der später das Hauptindiz zur Aufklärung der Sittensen-Morde werden sollte: In der Mittelkonsole des Wagens lag, säuberlich gefaltet, ein Zettel mit einer handschriftlichen Skizze und dem Wort „Zittensen“ darauf. Helge T. hatte ihn gelesen und nichts ahnend auf das Armaturenbrett gelegt. Kurz darauf beobachtet er aus dem Augenwinkel, wie einer der Verdächtigen, scheinbar unbeobachtet, den Zettel zerknüllte und auf die Fußmatte des Wagens warf.

Auf dem Revier dann trafen die beiden Polizisten auf ihren Kollegen Andreas B., der ebenfalls aus den Medien vom Mord in Sittensen erfahren hatte. Auch bei ihm war es nicht mehr als ein Gefühl – aber er rief bei der „Soko Sittensen“ an. Die veranlasste eine genauere Untersuchung. Kurz darauf berichtete ein Kriminaltechniker aufgeregt von dem Zettel mit der Aufschrift „Zittensen“. Jetzt schaltete sich die Soko ein, die wenig später drei weitere Verdächtige verhaftete. Der Prozess wird fortgesetzt. Elke Spanner

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