: Für Gott und Vaterland
Im ehemaligen Zonenrandgebiet zwischen Helmstedt und Königslutter sitzt das NPD-Mitglied Adolf Preuß seit fast zwanzig Jahren im Kirchenvorstand. Am Mittwoch wird in der Kirchengemeinde zum ersten Mal darüber diskutiert
Die Kirche verfügt über keine juristischen Mittel, um Kirchenvorstände ihres Amtes zu entheben. Das hat Friedrich Weber, Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Braunschweig, in einem Interview mit der taz vom 8. September 2007 klargestellt. Laut Weber kann ein Kirchenvorstand nur dann zur Abdankung gezwungen werden, wenn er nicht allen Punkten der Kirchenverfassung zustimmt. Es sei daher Aufgabe des Probstes, bei Zweifeln an der Unterstützung der Verfassung mit den entsprechenden Personen über inhaltliche Fragen zu sprechen. Die Verfassung wurde, so Weber in dem taz-Interview, „vor einiger Zeit“ um einen Artikel ergänzt, „der unser Verhältnis zu den Juden beschreibt.“ Demnach wäre die Nagelprobe, ob ein Kirchenvorstand eine rechte Gesinnung hat, die Frage, ob er diesen Artikel ablehnt. Sei dies der Fall, sagt Weber, „dann müsste er den Kirchenvorstand verlassen“. BEG
aus Süpplingen ANDREAS SPEIT
Einen Widerspruch zwischen seiner politischen Gesinnung und seiner religiösen Einstellung scheint Adolf Preuß nicht zu sehen. Seit fast vierzig Jahren sitzt das NPD-Mitglied in Süpplingen im Gemeinderat und seit beinahe zwanzig Jahren im Kirchenvorstand. Jahrelang war das kein großes Thema in der 1.900-Seelen-Gemeinde. Doch nachdem sich die Kirchenleitung von dem NPD-Mann distanziert hat, wird am Mittwoch in der St.-Lambertus-Gemeinde über Preuß’ Kirchenamt diskutiert. Erste Solidaritätsbekundungen für ihn soll es aus der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde schon gegeben haben. „Das kann ich nicht dementieren“, sagt Michael Strauß, Pressesprecher der Evangelisch-lutherischen Landeskirche.
Von der Autobahn A 2 führt eine kleine Landstraße zu der niedersächsischen Gemeinde zwischen Helmstedt und Königslutter. An Feldern und Wäldern entlang schlängelt sich die Straße. Von weitem ist der Kirchturm zu sehen. Am Nachmittag ist hier kaum jemand auf den aufgeräumten Gehwegen. „Herr Preuß, was wollense denn zu dem wissen?“, fragt ein Herr und hakt nach: „Meinense Adolf oder Friedrich?“
Der jüngere Bruder, Friedrich, ist auch in der NPD. Beide treten für die älteste Neonazi-Partei in der Region offen auf. Mit Erfolg: Adolf sitzt im Helmstedter Kreistag und im Samtgemeinderat Nord-Elm, Friedrich im Ortsrat Emmerstedt und im Helmstedter Stadtrat. Außerdem ist er stellvertretender Landesvorsitzender, auf der Liste für die Landtagswahlen steht er auf Platz 8.
In dem einstigen Zonenrandgebiet haben die rechtsextremen Parteien Tradition, nach 1945 kamen sie dort schnell wieder in der Mitte der Gesellschaft an. „Adolf Preuß?“ Ja, den kenne er, „sehr netter Mann“, sagt der Herr auf der Straße. Das mit der Kirche sei „schlimm – dass der jetzt wohl raus soll“. Mehr will er aber „dazu“ nicht ausführen, außer: „überhaupt die Presse, die macht den Ärger“. Das meint auch eine Jugendliche: „Klar habe ich Adolf Preuß gewählt, der ist gegen Ausländer.“ Ihr Begleiter schimpft ebenfalls auf „die Presse“.
In den vergangenen Wochen berichteten taz, NDR und Zeit über die „netten Anwohner“. Die Berichte dürften das Landeskirchenamt im etwa 40 Kilometer entfernten Wolfenbüttel zum Eingreifen bewegt haben. Landesbischof Friedrich Weber erklärte der taz, dass vor Ort alle von der Parteizugehörigkeit wussten, „es aber nicht als Problem“ empfunden hätten. Der Pfarrer hätte „zumindest versäumt“, Preuß auf die Widersprüche von NPD-Programm und Gelöbnis als Kirchenvorstand anzusprechen.
Gut 17 Jahre ist Pfarrer Bernhard Sieverling in dem Ort, und er schätzt Preuß sehr: Kein Kirchenmitglied sei hilfsbereiter als er, hat er mehrmals gesagt. Die Kirchengemeinde honorierte diesen Fleiß bei der letzten Vorstandswahl: Preuß erhielt das zweitbeste Ergebnis. Bürgermeister Klaus Schulz (CDU) hat zu dem Fall nur gesagt: „Die Person Adolf Preuß wird gewählt, nicht der Parteigänger.“ Der 66-jährige Landwirt sei immer als freundlich und helfend wahrgenommen worden.
Mittlerweile entschuldigt sich Pfarrer Sieverling damit, in all den Jahren mit Preuß nie über Politik gesprochen zu haben. Im Landeskirchenamt ist man sehr zurückhaltend. Irgendwie scheint man nicht glauben zu können, dass jemand trotz offener NPD-Mitgliedschaft jahrelang ungestört im Kirchenvorstand mitwirkt. „Das Menschenbild der NPD steht dem christlichen Grundgedanken gänzlich entgegen“, sagt Kirchensprecher Strauß. Es würden „intensive Gespräche“ geführt. Der Zuspruch für den NPD-Kader scheint die Landeskirche stark zu besorgen. Glaubt man den Gerüchten, drohen Kirchenmitglieder mit Austritt, falls der NPDler gehen muss.
Kirchenrechtlich hat die Landeskirche keine Handhabe. Per Beschluss von oben ist ein Ausschluss aus dem Vorstand nicht möglich, erklärt Strauß, denn die Gemeinden wählen selbstständig ihre Vorstandsmitglieder. Einen Beschluss von oben halte er aber auch für die unglücklichste Lösung. Vielmehr müsste in der Gemeinde das Gespräch mit den Menschen gesucht werden.
Propst Andreas Weiß, der direkte Vorgesetzte von Ortspfarrer Sieverling, ist mit diesem Auftrag vor Ort unterwegs. „Bitte verstehen Sie, ich möchte keine Statements abgeben“, sagt er. In dieser komplizierten Situation müsse man vorsichtig nach möglichen Optionen suchen. Am Mittwoch wird er an der Diskussion teilnehmen. Rund 250 Menschen finden in der St.-Lambertus-Kirche Platz. Auch Preuß ist eingeladen.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen