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Gerichte stoppen Abschiebehaft

PILOTURTEIL Fluchtgefahr ist unzureichend gesetzlich definiert, stellt das Amtsgericht Hannover klar

Zur Begründung verwies das Gericht auf die EU-Rückführungsrichtlinie

KARLSRUHE taz | Vermutlich wird es in den kommenden Monaten kaum noch Abschiebehaft geben. Darauf deutet jetzt ein Beschluss des Amtsgerichts Hannover hin, der der taz vorliegt. Für Abschiebungen ins Herkunftsland fehle es an einer gesetzlichen Definition der Fluchtgefahr.

Der Beschluss betraf einen jungen Albaner, der seit 2006 immer wieder illegal in Deutschland lebte. Schon 2009, 2012 und 2013 wurde er nach Albanien abgeschoben. Im November 2014 wurde er erneut in Deutschland aufgegriffen. Da noch eine Wiedereinreisesperre bis 2016 bestand, wurde der Albaner sofort in Abschiebehaft genommen.

Das Amtsgericht Hannover entschied dann aber am 19. Januar, dass die Abschiebehaft rechtswidrig war (Az.: 44 XIV 64/14). Zur Begründung verwies das Gericht auf die EU-Rückführungsrichtlinie von 2008. Danach ist Haft zwar zulässig, um bei Fluchtgefahr die Abschiebung sicherstellen zu können. Allerdings müsse die Annahme von Fluchtgefahr laut Richtlinie auf „objektiven, gesetzlich festgelegten Kriterien“ beruhen. Eine solche gesetzliche Definition fehle in Deutschland.

Erwirkt hat den Beschluss der Hannoveraner Anwalt Peter Fahlbusch.Und es ist nicht das einzige derartige Urteil. Auch in einem anderen Fall beim Amtsgericht Wennigsen (Az.: 2 XIV 2/15B) hatte er am 27. Januar mit der gleichen Argumentation Erfolg.

Wahrscheinlich werden sich noch viele Gerichte anschließen. Fahlbusch kann sich auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) in einer ähnlichen Frage berufen. Der BGH hat im Juni 2014 entschieden, dass bei sogenannten Dublin-Fällen Abschiebehaft nicht mehr auf Fluchtgefahr gestützt werden kann, weil eine gesetzliche Definition fehlt. Es ging um die in der Dublin-Verordnung geregelten Fälle, dass ein Flüchtling nur in dem EU-Staat ein Asylverfahren erhält, den er als Erstes erreichte.

In beiden Konstellationen – Abschiebung ins Heimatland oder ins Erstaufnahmeland – ist Abschiebehaft nun aber nicht dauerhaft ausgeschlossen. Schließlich hat die Bundesregierung im Dezember bereits einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die Fluchtgefahr definiert. Bis zum Sommer wird das „Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung“ im Bundestag wohl beschlossen sein. Dann ist auch wieder Abschiebehaft möglich.

Die Linken-Abgeordnete Ulla Jelpke lehnt die Abschiebehaft generell ab, hat nun aber auch die Statistik auf ihrer Seite: „Seit der BGH Abschiebehaft bei Dublin-Fällen verboten hat, ist die Quote der Überstellungen überhaupt nicht zurückgegangen“, so ihre Berechnung, „das zeigt, dass Abschiebehaft auch überflüssig ist.“ CHRISTIAN RATH

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