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„Hört auf mit der Opferrolle!“

QUOTENTÜRKE ODER BRÜCKENBAUER Moderator Bedo Kayaturan gilt in Hamburg als Vorzeigemigrant. Sein Engagement in der CDU hat viele verwundert, er verteidigt die Partei aber vehement

Bedo Kayaturan

■ 38, ist seit drei Jahren CDU-Mitglied. Er hat Sozialökonomie studiert und ist Moderator und Redakteur beim lokalen Fernsehsender Hamburg 1

INTERVIEW ANNIKA STENZEL

taz: Herr Kayaturan, etwa ein Drittel der Hamburger hat einen Migrationshintergrund, trotzdem gibt es nur wenige Migranten, die bei der Bürgerschaftswahl am Sonntag kandidieren. Sie stehen für die CDU auf Platz 25 der Landesliste.

Bedo Kayaturan: Es sind – glaube ich – schon mehr Migranten als früher. Und die CDU hat sieben Kandidaten: alles Leute, die schon länger in der Partei aktiv sind. Ich bin auf Platz 25 und habe, glaube ich, eine gute Ausgangsposition, um reinzukommen.

Sind Sie der Quotentürke?

Kann sein. Aber die wirkliche Frage ist doch, was ich daraus mache, dass mich die CDU mit einem sehr guten Stimmergebnis auf die Liste gewählt hat. Wenn andere Parteien ihre Liste füllen wollen, sitzen da Menschen zusammen und sagen: Ich brauche noch einen Kurden, einen Aleviten, ich hab das selbst erlebt. Einige von denen waren nicht einmal länger in der Partei. Das wären dann die wirklichen Quotenmigranten. Aber eins ist klar: Ich möchte nicht auf Migration reduziert werden, und davor habe ich auch ein wenig Angst.

Trotzdem kandidieren Sie.

Ich wollte schon als Kind Politiker werden.

Was ist das Schöne am Politikersein?

Zu wissen, dass man gestalten und für die Menschen etwas tun kann. Zu wissen, dass man für jeden ansprechbar ist, und zu wissen, dass man Dinge umsetzen kann, die man den Menschen versprochen hat, ohne seine Ideale zu verkaufen.

Eine politische Karriere, ohne seine Ideale zu verkaufen?

Ich werde es beweisen. Ich glaube daran. Man muss idealistisch sein. Sonst sitzt man in der Bürgerschaft und hebt die Hand und weiß gar nicht, warum.

Für manche grenzt es schon an Verrat, dass Sie ausgerechnet für die CDU kandidieren …

Mein Auftrag ist es, eine Brückenfunktion zu übernehmen. Ich sehe mich als eine Mischung aus Bosporus und Elbbrücken. Dasselbe Dilemma, das ich bei der türkischen Community habe, hab ich bei den Deutschen: Wenn ich mich bei der türkischen Community vorstelle, ist die erste Frage: Warum die CDU? Bin ich bei der Seniorenunion, ist die erste Frage: Warum die CDU?

Also: Warum die CDU?

Ich höre das in letzter Zeit permanent: Du bist ja ein ganz Netter, aber das was du sagst, dafür steht die CDU nicht. Wenn dem so wäre, dann würde meine Partei mich nicht aufstellen und auch nicht zu den Podien schicken. Wenn die Partei nicht unterstützen würde, für was ich stehe, dann dürfte ich auch meine Flyer nicht so machen, wie ich sie gemacht hab. Aber das ist mein Flyer, meine Idee, meine Ideale.

Was sind denn Ihre Ideale?

Es geht darum, eine Politik zu machen, die den Menschen etwas wiedergibt: Hoffnung, Zuversicht, Perspektive. Deshalb will ich mich auf drei Kerngebiete konzentrieren: Migration und Flüchtlinge, das bin ich und das lebe ich. Medien und Kultur, das bin ich auch und lebe ich auch, aber ich möchte auch die Zukunft mitgestalten: Deswegen ist mein drittes Thema kreative Wirtschaft.

Und das geht nur in der CDU?

Die Parteien, die so tun, als seien sie ausländerfreundlich sind in meinen Augen die, die nach den Wahlen dann nicht mehr viel für Migranten machen.

Und die CDU ist da anders?

Ja, da gibt es zum Beispiel den Integrationsbeirat. Da treffen sich Menschen verschiedener Kulturen und Herkunftsländer und diskutieren über ihre Probleme. Eingerichtet wurde er von der CDU. Als 2005 die Gespräche zu den Staatsverträgen mit Muslimen und Aleviten geführt wurden, war das auch die CDU. Es wurde das erste Welcome-Center in Deutschland eingeführt, die Einbürgerungskampagne und die Einbürgerungsfeiern: alles Dinge, die die CDU gemacht hat. Aber die meisten wissen das alles nicht. Und das tut mir leid.

Vielleicht wirbt die CDU damit nicht offensiv, um ihre konservative Klientel nicht zu verprellen.

Das kann sein. Vielleicht befürchtet manch einer, die alte Klientel damit zu erschrecken, aber man darf sich dem Wandel nicht verschließen. Der Großteil der türkeistämmigen Menschen hier ist konservativ. Nicht im Sinne von rechtskonservativ, sondern wertkonservativ. Sie legen Wert auf ihre Ideale, sind aber bereit für etwas Neues. Und das ist dasselbe, was mit der CDU grade passiert. Sie öffnet sich den Migranten und ich sehe es als meinen Auftrag, dieses in meine Community zu zu tragen.

Das klappt?

Die türkische Community, vor allem die Älteren haben ein klassisches Bild von rechts oder links, für sie gibt es keine Mitte. Und die CDU ist für sie rechts und damit steht für sie die CDU neben NPD und AfD. Aber jedem zweiten, dem ich bis jetzt erklärt habe, warum ich in dieser Partei bin, warum ich zu dieser Politik stehe, hat gesagt: Ich denke darüber nach. Mit der CDU habe ich auf der einen Seite eine Partei, die gewillt ist, sich zu öffnen und auf der anderen Seite gibt es eine sehr große Community, die sagt, die CDU hat Politik gegen Ausländer gemacht. Dann sage ich: Stimmt in mancher Hinsicht, aber nur bis Ende der 90er. Aber ich bin doch hier und will mich den Dingen stellen.

Ist nicht auch Religion ein Problem, schließlich hat die CDU das „christlich“ ja schon im Namen?

Es geht um das christliche Menschenbild, um Inhalte und Werte. Und das ist auch eins der Probleme der CDU: Sie erklärt uns das nicht. Die türkische Community, Muslime und Aleviten haben mehr mit der CDU gemein, als sie es je mit der SPD haben werden. Das christliche humanistische Menschenbild stellt den Menschen in den Mittelpunkt. Das Alevitische steht auf humanistischen Grundlagen. Nächstenliebe, soziale und gesellschaftliche Verantwortung, Nachbarschaft. Werte wie Nächstenliebe findet man in allen großen Religionen wieder, aber das, und das sage ich meinen Kollegen bei der CDU, das müsst ihr mehr nach außen transportieren.

Ich finde nicht, dass die CDU für Nächstenliebe steht.

Das ist ein anderes Problem. Aber doch: tut sie. Ich verstehe aber, was Sie meinen. Die Frage ist: Wie öffnet man die Partei so, dass die Menschen das auch empfangen. Das beste Beispiel: Christian Wulff sagt vor vier Jahren: Der Islam gehört zu Deutschland. Wer schüttelt den Kopf? Angela Merkel. Jetzt sagt sie es selbst. Man kann einen Wandel nicht von heute auf morgen erwarten. Aber da merkt man doch: Die CDU bewegt sich. Und an diesem Veränderungsprozess will ich teilhaben. Weil ich davon überzeugt bin, dass Menschen, die so offen sind wie ich, diesen Prozess fördern können, bevor irgendwelche Hardliner um die Ecke kommen.

Aber die Hardliner gibt es doch an jeder Ecke. Denken wir an den Vorstoß der CSU, Migranten sollen zu Hause Deutsch sprechen.

Für mich war das der Witz des Jahres. So ein Blödsinn. Und das sage ich so lange öffentlich, bis mir jemand einen Maulkorb verpasst. Aber viele in der CDU sehen das wie ich, insofern mach’ ich mir da keine Sorgen. Ich brenne für die Politik und gehe daher auch keinem Thema aus dem Weg. Ich spreche gerne mit Menschen und mir macht das überhaupt nichts aus, wenn mich jemand schräg von der Seite anspricht. Ich komm damit klar. Vielleicht habe ich da einen Vorteil, weil ich schon seit Jahren Fernsehen mache und immer von einer Seite dafür kritisiert werde. Übrigens: Die CSU nehmen die Journalisten immer gern, wenn ihnen nichts schlechtes mehr zur CDU einfällt.

Sie waren heute früh in Harburg unterwegs, um für Stimmen zu werben. Wie kriegen Sie Menschen mit Migrationshintergrund dazu zu wählen?

Ich spreche mit ihnen. Wir haben auf der einen Seite die Politiker, die Probleme haben, sich regelmäßig um die Menschen zu bemühen, und auf der anderen Seite gibt es die Migranten-Communitys, die sagen: Der Politiker macht eh nichts, und für mich als Migrant sowieso nicht. Und dann hat man ein Dilemma auf beiden Seiten. Und daraus resultiert dann eine Situation wie bei der letzten Wahl, wo gerade mal zehn Prozent der türkischen Community überhaupt gewählt haben.

Wie vermitteln Sie?

Die Menschen sagen mir immer wieder: Ist ja schön, dass du da bist, aber kommst du auch nach den Wahlen wieder? Ich glaube, das ist die große Enttäuschung. Das heißt aber auch nicht, dass das bei den Deutschen anders wäre. Ich glaube, ich hab schon jede Ecke von Wilhelmsburg, von der Veddel bis Kirchdorf-Süd, gesehen. Ich bin vor allem im Süden sehr aktiv und im Westen, in Altona und so. Andere Politiker tummeln sich gerne im Norden, aber im Süden bei den Migranten-Communitys hängen nur wenige rum. Warum? Vielleicht weil sie Angst haben, dass die Leute im Süden sie dumm anmachen. Aber ich kann mit denen reden.

Und was sagen Sie ihnen?

Geht wählen! In anderen Ländern kämpfen die Menschen mit Waffen darum. Hört auf mit der Opferrolle, rein in die aktive Rolle. Vor allem Jugendliche finden die Opferrolle einfacher, die sagen dann: „Ich bin Ausländer, ich werde ausgegrenzt.“ Mir ist auch viel Rassismus begegnet, aber ich hab nicht aufgegeben, und jetzt bin ich dankbar, hier sitzen zu dürfen und ich kann sagen, dass ich in meinen 38 Jahren alles machen durfte, für das ich die Kraft hatte. Und deshalb bitte ich die Jugendlichen darum, daran zu glauben, dass jeder ein Talent hat. Das Schwierige ist, das zu finden. Es zu finden und zu fördern klappt nur in Kooperationen mit Eltern, Schulen – und Politikern.

Und wenn Sie Eltern begegnen, die ihre Tochter lieber früh verheiraten anstatt deren Talente zu fördern?

Kommt nicht in die Tüte, ist totaler Käse. Wenn die Menschen hier in diesem Land leben, sollten sie sich auch an die demokratischen Regeln halten.

Wenn die Menschen in der Türkei leben, wäre es dann okay?

Natürlich nicht. Aber ich fange doch hier an. Für eine bessere Welt muss doch jeder erst mal vor der eigenen Haustür kehren.

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