: Kreuzchenmachen für alle
Ein Bürgerschaftsausschuss soll ein bundesweit einzigartiges Wahlrecht vorbereiten, mit dem künftig auch Nicht-EU-AusländerInnen wählen dürfen. Die CDU sieht die Verfassung in Gefahr
Von Christian Jakob
Wahlrecht für AusländerInnen, Wahlalter 16, erleichterte Bedingungen für Volksbegehren – so soll nach dem Willen der rot-grünen Koalition künftig das Bremische Wahlrecht aussehen. Gestern beschloss die Bürgerschaft die Einsetzung eines Ausschusses zur Vorbereitung einer entsprechenden Wahlrechtsreform. Die CDU warnte: „Das Wahlvolk kann nicht beliebig ausgeweitet werden“ – und vertrat damit dieselbe Position wie der ehemalige Bremerhavener DVU-Abgeordnete Siegfried Tittmann.
Gemäß eines Antrages von Grünen und SPD soll das elfköpfige Gremium vor allem Vorschläge für ein Wahlrecht für Bremer BürgerInnen aus EU- und Nicht-EU-Ländern erarbeiten. Würde die Koalition ein entsprechendes Gesetz verabschieden, nähme Bremen bundesweit eine Vorreiterrolle ein: Bisher gibt es kein Bundesland, in dem Zuwanderer aus Ländern, die außerhalb der EU liegen, ein kommunales Wahlrecht haben.
Der Beschluss der Bürgerschaft sieht vor, dass Angehörige von EU-Mitgliedsstaaten künftig die Abgeordneten des Bremischen Landtages wählen dürfen. Staatsangehörige von Ländern außerhalb der EU bleibt dies zwar verwehrt, doch sie sollen in Zukunft das kommunale Wahlrecht für die Stadtbürgerschaft Bremen und die Stadtverordnetenversammlung Bremerhaven bekommen. Auch an Beiratswahlen in der Stadtgemeinde Bremen sollen Nicht-EU-BürgerInnen teilnehmen dürfen.
Des weiteren sollen künftig auch Jugendliche am Wahltag ihre Kreuzchen abgeben dürfen. Der Ausschuss soll eine Regelung erarbeiten, mit der 16- und 17-Jährige bald an den Wahlen zur Stadtbürgerschaft Bremen und zur Stadtverordnetenversammlung Bremerhaven teilnehmen können.
Geht es nach Rot-Grün, werden auch Volksbegehren und Volksentscheide in Zukunft auf niedrigere rechtliche Hürden stoßen. Der Ausschuss wurde beauftragt, Vorschläge zur Absenkung der Zustimmungsquoten zu erarbeiten. Die Grenzen finanziell relevanter Volksgesetzgebungsinitiativen werden überprüft.
Der Vorsitzende des Vereines „Mehr Demokratie“, Paul Tiefenbach, begrüßte den Bürgerschaftsbeschluss. Tiefenbach erinnerte daran, dass eine Reform der Volksgesetzgebung im Bundesland Bremen schon oft im Gespräch war. Die letzten Reformversuche der Jahre 1998/2000 und 2002 waren gescheitert. „Das Recht auf Volksbegehren führt in Bremen seit 60 Jahren eine Statistenrolle. Die Hürden sind einfach viel zu hoch“, so Tiefenbach.
Auf wenig Begeisterung stieß der Wahlrechtsvorstoß bei der CDU. Die rechtspolitische Sprecherin der CDU-Bürgerschaftsfraktion, Sibylle Winther, sagte, ihre Fraktion stünde einer Stärkung der Bürgerbeteiligung „natürlich aufgeschlossen“ gegenüber und werde sich „konstruktiv“ im Ausschuss einbringen. Gleichzeitig warnte sie jedoch vor einer „Aushebelung der Verfassung“ durch die vorgesehenen Reformen. Ein Wahlrecht für AusländerInnen verstoße gegen den Verfassungsgrundsatz, das „alle Macht vom Volk ausgeht“. Die Zugehörigkeit zu diesem Wahlvolk, so Winther, sei jedoch „nicht beliebig“. Wahlrecht sei „kein Mittel zur Integration“. Vor dem Wahlrecht habe die Einbürgerung zu stehen, sagte Winther.
Sinngemäß das Gleiche sagte kurz darauf auch der ehemalige DVU-Abgeordnete Siegfried Tittman: „Wer hier wählen will, soll vorher Deutscher werden, so einfach ist das.“
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