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Der diskrete Glamour der Provinz

STEINE Idar-Oberstein ist ein kleines Nest am Rande des Hunsrücks – und eine der bedeutendsten Edelsteinstätten der Welt. Hier werden Opale und Rubine verarbeitet. Wenn das Liz Taylor gewusst hätte

Bei der Eröffnung von Peter Linds neuem Geschäftshaus wird „Vitajuwel“ gereicht, Edelsteinwasser

VON MARTIN REICHERT

Tiffany! Cartier! So beschwor einst Marilyn Monroe den Mythos kalt funkelnder Steine in ihrem Lied „Diamonds are a girls best friend“. Doch wer nach Idar-Oberstein in Rheinland-Pfalz kommt, sieht zunächst nur Gestein in Form von schroffem Fels – und einen Trumm von Hochhaus, der sich so gar nicht in die Kleinstadt mit 30.000 Einwohnern fügen will. Im Boomjahr 1973 erbaut, war hier noch bis vor Kurzem die Diamant- und Edelsteinbörse Idar-Oberstein beherbergt. In den Glanzzeiten hatten hier die vielen ansässigen Edelsteinunternehmen ihre Büros. Es gab weitläufige Tresore und ein Hotel für die aus aller Welt anreisenden Geschäftspartner. Dann aber, in den Achtzigern, ging es bergab mit Idar-Oberstein. Die internationale Konkurrenz wuchs, der Tourismus ließ nach – man war nicht mehr gut aufgestellt, und das nach 500 Jahren Edelsteintradition. Das Hochhaus, es war doch eine Nummer zu groß.

Im Jahr 2011 ist die Börse in ein kleines Büro in der Industrie- und Handelskammer umgezogen. Der Bau hat nur bescheidene drei Etagen – aber der Geschäftsführer der Diamant- und Edelsteinbörse Idar-Oberstein e. V. heißt Jörg Lindemann und gibt sich so selbstbewusst, als säßen wir in der obersten Etage des Trump Towers in New York: „Wir sind hier in dem europäischen Edelsteinzentrum. Antwerpen? Bangkok? Israel? Alles Monokulturen! Hier aber finden Sie: Laserkristalle, Diamantbohrer, das Gemmologische Institut, die Edelsteinmesse Intergem – und was glauben Sie denn, wo die Sachen für Tiffany und Cartier hergestellt werden? In Idar-Oberstein! Und das ist jetzt nicht mit dem Lautsprecher gesprochen!“

Zum Schweigen gebracht ist nun erst mal, wer bei Idar-Oberstein bislang eher an klobige Omaketten und Gründerzeitgemmen dachte. Trugbilder – auch die Börse ist eigentlich keine Börse, der Rechtsanwalt Jörg Lindemann arbeitet für einen Verein, der die Interessen der ansässigen Unternehmer vertritt. „Wir haben uns zum Beispiel dafür eingesetzt, dass Konfliktdiamanten auf ihre Unbedenklichkeit geprüft werden.“ Alle Steine, die nach Europa eingeführt werden, laufen über den Zoll von Idar-Oberstein – hier ist eines der beiden weltweit führenden Gemmologischen Institute beheimatet.

Das Wort Blutdiamanten hört Jörg Lindemann nicht gern – aber in dem Geschäft mit dem Glanz der Steine geht es um Rohstoffe aus der ganzen Welt. Einer Welt voller Diktaturen, Unrecht, Armut und Gewalt. Idar-Oberstein, dessen natürliche Edelsteinvorkommen seit dem 18. Jahrhundert erschöpft sind, muss sich in dieser Welt behaupten. Und hat sich spezialisiert. High-Tech. Die Geschäfte laufen gut – aber jetzt droht eine neue Gefahr. „Der Chinese kauft alle Rohstoffe auf.“ Und wo findet man nun trotz alledem den Glanz in dieser Stadt? „Wenn Sie sich hier etwas ganz Tolles vorstellen, dann werden Sie es nicht finden. Der Glamour findet hinter verschlossenen Türen statt“, sagt Lindemann.

Range Rover und Jaguar

Im Grau des Dezember wirkt die Stadt besonders matt. Die Häuser sind unspektakulär, doch die vor der Tür liegenden Carports überdachen puren Luxus: Range Rover parken dort und Mercedes der gehobenen Preisklasse – die leeren Flaschen bringen graumelierte Herren hier im Jaguar zum Container.

Die Karosserie des Mercedes, der vor dem mittelständischen Betrieb Groh & Ripp parkt, wirkt geschliffen wie ein Smaragd, an der Front funkeln LED-Leuchten wie Diamanten. Die Kundschaft der Idar-Obersteiner und der von Mercedes sitzt in Russland und in Middle East, sie mag es opulent – Nüchternheit ist nur für Menschen interessant, die schon lange gesättigt sind.

Sandra Lange ist eine Tochter des Hauses, Groh & Ripp ist ein Familienbetrieb mit vierzig Angestellten. „Unser Markt, das ist die Nische“, erklärt sie. Die Firma versteht sich als Zulieferer, arbeitet für die ganz Großen im Schmuckgeschäft, auch für die Haute Horologerie. Ringe und Uhren, die einen großen Namen tragen und in großen Städten die Schaufenster schmücken, verdanken ihren Glanz der Provinz. „Die Namen kann ich Ihnen aber nicht sagen“, erklärt Sandra Lange, die Branche legt viel Wert auf Verschwiegenheit.

Energisch schreitet sie voran in das Allerheiligste: Im Keller werden die rohen Steine hinter schweren Gitterstäben gelagert. Bergkristall, Tigerauge, rosa Opal, Achat, Rubin! Oder auch: Geröllhalde. Steinhaufen. Baumarkt. Erst als Sandra Lange auf einen der herumliegenden Steine spuckt und ein wenig auf der Oberfläche reibt, leuchtet er plötzlich wunderbar rot. „In Idar-Oberstein sind alle steinreich“, sagt sie lachend. Und meint damit, dass die meisten Firmen über große Rohstofflager verfügen – sie zu besorgen, ist eine Kunst für sich und bedarf weitreichender Kontakte. „Schon als Kind war ich mit auf Reisen, und viele unserer Geschäftspartner sind längst Freunde.“

Den Glanz bekommen die stumpfen Steine aus dem Keller erst durch Schliff und Politur. Eine Arbeit, die ein Stockwerk höher von Männern in gebückter Haltung an kleinen Wannen verrichtet wird, in deren Mitte sich ein Schleifstein dreht. Eine Millimeterarbeit, die längst auch von computergesteuerten Präzisionsmaschinen geleistet wird. Sandra Lange zeigt das alles nüchtern, als würden hier Muffen und Schrauben hergestellt – das Firmengebäude wirkt auch so. Diskret.

400 Karat – das ist Glanz

Doch im Showroom von Groh & Ribb leuchten ihre Augen dann doch buntsteinblau: „Sehen Sie mal hier, das ist grüner Granat, das mandariner. Und hier: Steine mit solch schönen Einschlüssen, die werden nicht facettiert, sondern bloß geschliffen. Diese beiden Steine hier, die haben einen Wert im sechsstelligen Bereich. Und dieser Aquamarin hat 400 Karat. Das ist Glanz!“

Liz Taylor, einst größte Botschafterin des Edelsteins, hätte ihre Freude an diesem Trumm gehabt. Der Showroom leuchtet und glitzert in allen Farben des Regenbogens – geschliffene, polierte Oberflächen, die das Licht reflektieren. Ein Funkeln im vergänglichen Auge des Betrachters, das von Steinen herrührt, die von der Ewigkeit des Weltalls künden. Doch noch sind diese Preziosen in der leicht vom örtlichen Dialekt facettierten Sprache Sandra Langes nichts als „Halbprodukte“.

Stein, das ist das, was man daraus macht. Man kann ihn schleifen und bearbeiten – oder in einen Krug mit Wasser legen und auf seine heilende Wirkung hoffen. Bei der Eröffnung von Peter Linds neuem Geschäftshaus wird „Vitajuwel“ gereicht, Edelsteinwasser. Lind ist Großhändler, hat eine Schleifwerkstatt – aber er und seine Frau Petra bieten auch Steinheilkunde-Seminare an, verkaufen magische „Moqui Marples“. Petra Lind malt sogar Bilder mit Hilfe von zerkleinerten Steinen. Die beiden wirken nicht so, als hätten sie Angst vor der Konkurrenz aus China. Sie interessieren sich eher für Fairen Handel – auch mit Steinen. „Es ist wie mit dem Essen, man muss die Menschen erst dafür sensibilisieren“, sagt Petra Lind.

Liz Taylors Augen

Die Linds haben auch Annette Fuhr eingeladen. Sie ist Leiterin des Deutschen Edelsteinmuseums, wacht über die Vergangenheit der Stadt – und macht sich Sorgen um die Zukunft von Idar-Oberstein. Im Kuratorium des Museums sind alle über fünfzig. Die Jugend fehlt, auch in der Stadt allgemein. Stolz zeigt Annette Fuhr das Museum – es ist nicht mehr in der Börse, sondern in einer Gründerzeitvilla untergebracht. „Es gibt hier so viele interessante Geschichten“, sagt sie. „Sehen Sie mal, dieser Stein, wie wundervoll blau der ist – ein Tansanit!“

Und der hat wirklich Glamour: Als der Stein gefunden wurde, konnte man ihn nicht bestimmen, daher wurde er nach Idar-Oberstein geschickt. Hier gab man dem Stein den Namen Tansanit – und wenig später brachte Tiffany den Stein ganz groß raus. Mit Liz Taylor als Testimonial. Der Tansanit hat exakt die Farbe ihrer legendär blauen Augen.

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