: „Geh und rette dein Leben dort“
Minderjährige Flüchtlinge: Kinderwohl ohne Aussicht auf Aufenthaltsrecht ■ Von Elke Spanner
Wenn er groß ist, will Yusuf Profifußballer werden. Oder Arzt. Über sein Bett hat er sich ein Plakat der PKK gehängt, daneben die Fotografie einer nackten Frau. Als letztes Indiz von Kindlichkeit blicken drei Dackel in den Raum. Für sein Alter ist der knapp 14jährige allerdings schon ziemlich „groß“. Seit zwei Jahren lebt er ohne seine Eltern – in einem Land, das ihm bis dahin unbekannt war, in dem eine Sprache gesprochen wird, die der Kurde zuvor niemals gehört hatte.
Yusuf gilt als „alter Hase“in der Unterkunft in der Lohkoppelstraße. Er wohnt hier am längsten von den 32 Flüchtlingskindern, die wie er ohne ihre Eltern in Hamburg angekommen sind. Nur wer unter 16 Jahre alt ist, gilt nach dem Ausländergesetz als minderjährig. Jungen und Mädchen, die nur wenige Tage über der Altersgrenze liegen, werden mit den Erwachsenen auf den Flüchtlingsschiffen untergebracht. Hier werden sie nicht pädagogisch betreut, wie es in den rund 20 Erstaufnahmeeinrichtungen für Minderjährige üblich ist.
„Geh und rette Dein Leben dort“, hatten die Eltern dem zwölfjährigen Yusuf mit auf den Weg nach Hamburg gegeben. Ein Fall, wie er typisch für die Lohkoppelstraße ist – und ein Fall, der Einrichtungsleiter Werner Kopp häufig verzagen läßt. „Seine Eltern haben ihn verstoßen. Es gibt kinderspezifische Gründe, weshalb Yusuf unbedingt ein festes Aufenthaltsrecht in Hamburg bräuchte.“Doch solche Gründe erkennt die Ausländerbehörde nicht an.
Wer als minderjähriger, unbegleiteter Flüchtling in die Hansestadt kommt und sich bei der Ausländerbehörde meldet, wird über das Amt für soziale Dienste auf die Erstaufnahmeeinrichtungen der Stadt verteilt. Dort sollen die Jungs und wenigen Mädchen nur wenige Tage, höchstens sechs Wochen bleiben. Die Realität sieht anders aus. „Zwischen acht und neun Monaten wohnen die Kinder im Schnitt bei uns“, sagt Werner Kopp. Erst dann werden sie weiterverteilt: In Kinderhäuser mit Rund-um-die-Uhr-Betreuung, in bezirkliche Jugendwohnungen oder in Jugendpensionen.
Die Erstversorgungseinrichtungen sollen einen Vormund beantragen, das Asylverfahren vorbereiten, Unterkunft und Verpflegung sichern, um, so lautet ihr Auftrag, „Gefahren von den Kindern abzuwehren“. Zwar sind die Erstversorgungsplätze im vergangenen Jahr auf rund 500 Plätze gewachsen. Die Anzahl der weiterführundenden Einrichtungen ist jedoch konstant knapp geblieben, so daß die Erstplätze immer mehr zu Dauerplätzen in der Großgruppe werden. „Kindgerechte Unterbringung“nennt sich das im Behördenjargon.
Der Umgang mit minderjährigen Flüchtlingen in Hamburg sei nach wie vor durch „Konzepte gekennzeichnet, die sich auf Aufbewahrung, Ausgrenzung und Abschiebung reduzieren“, kritisieren dagegen die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Hamburg und die Jugendhilfe e. V. Um Unterbringungs- und Schulsituation dieser „besonders schutzbedürftigen Kinder und Jugendlichen“zu verbessern, findet morgen im Curio-Haus eine Fachtagung der beteiligten Organisationen und Berufsgruppen statt. GEW und Jugendhilfe wollen Praktiker an einen Tisch bringen, um Umsetzungsstrategien für eine „angemessene Betreuung, Beschulung und einen gesicherten Aufenthaltsstatus“zu entwickeln.
„Ich will hier bleiben“, sagt Yusuf. „Ich will für immer bleiben.“Seine Sommersprossen kräuseln sich keck auf der Nase. In der Lohkoppelstraße hat er seine Freunde. Daß diese wegen der Fluktuation in der Erstaufnahme häufig wechseln, stört ihn nicht. Nachmittags beim Fußball oder freitags in der Disco trifft er auch diejenigen wieder, die längst weiterverteilt wurden.
Nach der Schule verbringen die Kids ihre Freizeit häufig gemeinsam. Sie sind füreinander die Familie. Allein sind sie allesamt nach Hamburg gekommen – ohne Familie und eine Ahnung, wie ihr Leben in dem fremden Land aussehen wird. Das schweißt zusammen.
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