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■ Die US-Publizistin Barbara Ehrenreich hat ein aufregendes und wichtiges Buch über den Krieg verfaßt: „Blutrituale“. Zu Gewalt sind beide Geschlechter fähig, aber der Krieg gilt als rein männlich Von Ute ScheubFleisch für den Raubtiergott

Barbara Ehrenreich gehört zu den bekanntesten Publizistinnen der USA. Mit ihren Büchern – unter anderem „Angst vor dem Absturz. Das Dilemma der Mittelklasse“ – hat sie immer wieder Furore gemacht. Das neueste Werk der studierten Naturwissenschaftlerin liefert jede Menge neuer Anregungen für die Friedens- und Konfliktforschung, für die Gewaltdebatte, für die Geschlechterfrage.

Selten verschlingt man sozialwissenschaftliche Sachbücher wie Romane – Barbara Ehrenreichs neuestes Buch gehört dazu. „Blutrituale“ ist ein exzellent geschriebenes Pionierwerk, ein höchst an- und aufregendes Buch, die Fortsetzung von Klaus Theweleits „Männerphantasien“ mit anderen Mitteln.

„Ursprung und Geschichte der Lust am Krieg“ heißt das Buch im Untertitel, und also begibt sich die für ihre Scharfsinnigkeit bekannte US-Publizistin tief hinein in die menschliche Vorgeschichte. Ihre These: Lange bevor die Hominiden Jäger wurden, waren sie selbst Beute von wilden Tieren. Dieses „Urtrauma“ sei „höchstwahrscheinlich der Ursprung der Gewohnheit des Menschen, Gewalt zu sakralisieren“. Als unsere Vorfahren dann selbst Tiere zu töten begannen, empfanden sie unendlichen Triumph.

In Blutopfern, die laut Ehrenreich in allen alten Kulturen von den Anden bis zum Ganges das zentrale religiöse Ritual waren, wird diese Szene immer wieder aufs neue dargestellt: Menschen werden imaginären RaubtiergöttInnen und Tiere werden imaginären MenschengöttInnen geopfert. Der Tempel als Schlachtbank: Mayapriester rissen den dem Jaguargott bestimmten Opfern das Herz heraus, der jüdische Abraham war bereit, seinen Sohn Isaak zu töten. Die Opferrituale der Hebräer, Griechen, Ägypter, Phönizier, Babylonier, Perser, Etrusker und Römer ähnelten sich allesamt. Und immer ging es um die Demonstration der menschlichen Macht, Blut vergießen zu können, wenn man so will, um die Siegesfeier des menschlichen Evolutionssprunges von der Beute zum Jäger.

Möglicherweise, zitiert die Autorin Judy Grahn, war die weibliche Fähigkeit, Blut fließen zu lassen, Vorläufer und Grundlage aller Rituale. Menstruation und Geburt verwiesen auf magische Kräfte der Frauen, und die frühen GöttInnen waren vielfach weiblich. Jedoch keineswegs freundlich: Sie fraßen Menschenfleisch und tranken Blut. Die anatolische Kybele ist Herrscherin der Löwen, die blutrünstige Kali aus Indien reitet auf einem Tiger, die griechisch-römischen Jagdgöttinnen Artemis und Diana waren ebenso mordlüstern wie mächtig.

Welches Ereignis aber hat die Herrschaft der Raubtiergöttin beendet und die Ära des männlichen Heldenkriegers beginnen lassen? Der Wandel der Jagdstrategien in der mittleren Steinzeit, glaubt Ehrenreich. Der Großwildbestand sei dramatisch zurückgegangen, kollektive Treibjagden, an denen Männer, Frauen und Kinder beteiligt waren, machten keinen Sinn mehr. Pfeil und Bogen, Dolch und Schleuder ließen den Stand des männlichen Jägers entstehen, der bald gegen seinesgleichen vorging. Weil die Männer in den kleinen Gemeinschaften immer „unwichtiger für das Überleben der Frauen und Kinder“ wurden, hatten sich unterbeschäftigte Jäger eine neue Sinngebung ausgedacht: das Kriegführen.

Krieg sei „fast immer und überall reine Männersache“, schreibt die Autorin. In allen Kulturen auf der Welt wurden kriegsunwillige Männer als „Frauen“ verspottet, auch in modernen Armeen wie der Bundeswehr werden Rekruten bestraft, indem man sie zum Fußbodenschrubben und anderen „weiblichen“ Tätigkeiten zwingt. Da wir alle von Frauen abstammen, Weiblichkeit von Kindern also zuerst und Männlichkeit nur abgeleitet erfahren wird, füllt der Krieg seit der Erfindung der Waffen diese für Männer so schmerzliche Lücke: Er hat den Zweck, das Mannsein an sich zu definieren. Mit den Kriegereliten wird zudem eine männliche Ahnenreihe konstruiert, bei der der Kriegersohn jeweils in die Fußstapfen des Kriegervaters tritt und Mütter überflüssig erscheinen. Zudem kehrt sich der neolithische Triumph, von der Beute zum Jäger aufgestiegen zu sein, für die Frauen dramatisch um: Durch den Krieg wurden sie zur versklavten und vergewaltigten Kriegsbeute.

Im zweiten, etwas weniger überzeugenden Teil des Buches reitet Barbara Ehrenreich im rasenden Tempo durch die Jahrhunderte. Sie zeichnet die „Sakralisierung des Krieges“ nach, die nicht nur in den Kreuzzügen, sondern auch im Nationalismus und besonders im Nationalsozialismus deutlich wird: Die Nation wird als Ahnenreihe von Kriegern imaginiert, als lebendiges Wesen, für dessen Weiterleben man sich begeistert auf dem Altar des Schlachtfeldes opfert. Für die Autorin ist jedoch nicht die Nation, sondern der Krieg eine Art lebendiges Wesen: das uralte Raubtier, das der Mensch nur noch einmal von neuem besiegen muß. Das klingt hübsch, aber ein wenig zu sehr nach Endkampf und eschatologischer Erlösungshoffnung, als daß es überzeugen könnte.

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