: Kraftlose Argumente
Bürgerschaftspräsidentin und Handelskammer fordern Wirtschaft nochmals zur Entschädigung von NS-ZwangsarbeiterInnen auf ■ Von Elke Spanner
Nikolaus Schües setzte bisher auf die „Kraft der Argumente“. Doch deren Kraft reicht nicht aus: Erst 354 Hamburger Firmen sind der Stiftung zur Entschädigung von NS-ZwangsarbeiterInnen beigetreten. Nun versucht es der Handelskammerchef mit Gefühl. Über 500 VertreterInnen der Hamburger Wirtschaft waren gestern abend von Schües und Bürgerschaftspräsidentin Dorothee Stapelfeld (SPD) ins Rathaus geladen, um den Film „Das Heimweh des Walerjan Wrobel“ zu sehen. Mit dem Film über einen 16-jährigen polnischen NS-Zwangsarbeiter, der laut Schües „an die Nieren geht“, sollten die UnternehmerInnen veranlasst werden, der Stiftung beizutreten.
Die das tun, frohlockte der Handelskammerpräsident, „stärken das internationale Ansehen der deutschen Wirtschaft“. Die bisherigen Beitritte reichten noch nicht aus, seien aber schon eín Erfolg. Denn Hamburg nehme zusammen mit München bundesweit „die Spitzenposition“ ein.
Die ZwangsarbeiterInnen selbst haben davon noch nicht profitiert. Denn das Geld wird erst ausgezahlt, wenn die Wirtschaft die vereinbarten fünf Milliarden Mark aufgebracht hat und sämtliche Sammelklagen von in den USA lebenden ZwangsarbeiterInnen abgewiesen sind. Eine US-Richterin hatte die Abweisung aber gerade erst abgelehnt, weil nicht gesichert sei, dass das Geld tatsächlich auf die Konten der damals Geschädigten fließt. Dass diese Bedenken berechtigt sind, bestätigte gestern der Handelskammerchef: Das Geld werde erst ausgezahlt, wenn die Unternehmen die Rechtssicherheit hätten, fortan nicht mehr mit Forderungen behelligt zu werden. Und diese Rechtssicherheit, sagte Schües, „ist noch nicht erreicht“.
Auf Unverständnis stößt er damit bei Pawel Pawlenko. Der heute 75-jährige Mann wurde 1942 aus der Ukraine nach Hamburg verschleppt, wo er erst im Hafen, später im Klinkerwerk des KZ Neuengamme arbeiten musste. Die Überlebenden hätten schon fast den Glauben daran verloren, noch jemals Geld für das Erlittene zu sehen, weil „immer wieder neue Gründe auftauchen, warum nichts ausgezahlt wird“. Für viele ist es ein Problem, ihren damaligen Arbeitseinsatz nachzuweisen. Der Vorsitzende der Bundesstiftung, Michael Jansen, kündigte gestern die Bildung einer Arbeitsgruppe an, die ZwangsarbeiterInnen beim Beschaffen eines Nachweises unterstützen soll.
Auch die Regenbogen-Bürgerschaftsgruppe appellierte gestern zusammen mit der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/ Bund der Antifaschisten“ an Hamburger Betriebe. In einem offenen Brief forderten sie die Geschäftsleitung der Barmbeker Werkzeugmaschinenfabrik Makino zum Stiftungsbeitritt auf. Die Traditionsfirma hatte in den Jahren 1944 und 1945 über 300 ZwangsarbeiterInnen im Einsatz.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen