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Das Gefängnis der Erinnerung

■ Wie war das, damals? Eine Frage, die immer wieder Generationen entzweit. In den Büchern der Autorin Ulrike Kolb steht sie im Zentrum. Am Sonntag liest sie in Bremen

Nelly und Max treffen sich in einem Café in New York. Es ist Zufall. Und es ist 1997. Sie erinnern sich an die Zeit, als Max Kind war und Nelly die Lebensgefährtin seines Vaters. Die 1942 geborene Frankfurter Autorin Ulrike Kolb erzählt in „Frühstück mit Max“ von den zentralen Generationenkonflikten der BRD. Aber sie erzählt es auf eine ruhige, persönliche Weise.

taz: Der Roman umfasst einen Vormittag. Ein zufälliges Treffen, das Erinnerungen zu Tage fördert. Was passiert mit den beiden Figuren nach Verlassen des Cafés?

Ulrike Kolb: Sie trennen sich, ohne dass man weiß, wie es weitergeht. Auch im wirklichen Leben empfinde ich es oft so, dass das, was sich zwischen Menschen ereignet, nie ein Ende findet. Es bleibt ein Gefühl von Ungewissheit, weil man nicht weiß, wie der andere darüber denkt. Wenn man jemanden von früher trifft, findet man nicht die Worte, jene Fragen zu stellen, die man vielleicht nachts schlaflos im Bett mit sich herumwälzt. „Frühstück mit Max“ ist auch Sehnsuchtsgeschichte. Trotz der Distanz scheint eine zärtliche Nähe durch. Max hat die Trennung von Nelly nie wirklich verwunden.

Aber er drückt sich ein wenig darum, es laut zu denken ...

... das Gespräch ist zufällig. Sie sprechen aneinander vorbei, gehen wieder aufeinander ein. Manchmal kommen sie sich sehr nah. Ihr Duft von früher strömt ihm entgegen und plötzlich erinnert er sich. Eine unberechenbare, fragmentarische Aneinanderreihung von Geschichten, Erinnerungen, Zweifeln, Bildern, sinnlichen Wahrnehmungen, die kein schlüssiges Ende finden.

Der nicht auftretende Vater komplettiert das Dreieck. Inwieweit korrespondiert das mit Ihrem früheren „Roman ohne Held“ – auch eine Vatergeschichte, etwa genau eine Generation zuvor?

Die Tochter im „Roman ohne Held“ weiß sehr wenig von ihrem Vater. sie spinnt sich eine Phantasiegeschichte, indem sie den Vater auf sein Leben zurückblicken lässt. Sie versucht, sich ihn zu erklären. Auch in einer geschichtlichen Kontinuität. Zwei Kriege ...

... nicht umsonst beginnt das Buch mit dem Tod des Vaters. Der Tod ist eine Art Leitmotiv in dessen Biographie.

Todeserlebnisse haben diese Generation geprägt, obwohl ich den Vater nicht als typischen Vertreter seiner Zeit darstellen, sondern eine einzelne Geschichte erzählen wollte. Die Tochter betreibt eine viel aggressivere Auseinandersetzung mit dem Vater als Max es mit seinem tut. Dieser hat antiautoritäre Werte für sich entdeckt und Max so erzogen. Der Sohn kehrt zu alten Werten zurück. Er heiratet früh, gründet eine Familie, ist fleißig – unabhängig vom Leben des Vaters.

Alte Werte und auch wieder nicht, schließlich lebt er als Architekt in New York ...

... er ist moderner, aber auch er lebt im Gefängnis seiner Gegenwart. An den derzeitigen Diskussionen um die 68er Generation kann man beobachten, wie jeder in seinen eigenen Wahrnehmungen gefangen ist. Distanz zu sich selbst ist schwer. Die Erzählperspektiven in „Frühstück“ wie im „Roman“ kommen von der Frage her, wie es wäre, wenn man sein eigenes Leben aus großer Distanz betrachten könnte. Eine der wichtigsten Ideen im Umkreis der Frankfurter Schule war ja, sich selbst zu reflektieren – in seiner geschichtlichen Umgebung. So etwas machen Max und Nelly auch, aber moderat, individualistisch. Ich wollte keinen Thesenroman schreiben wie Michel Houellebecq. Fragen: T.S.

Ulrike Kolb liest am Sonntag, 4. Februar, um 11 Uhr im PFL in Oldenburg (Peterstr. 3) und um 20 Uhr im Ambiente, Osterdeich 68a.

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