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So viel bist du mir wert

Es geht in Richtung Anna Karenina: Bei einem Shopping-Ausflug von Moskau nach Berlin sind vor allem dezent militärische und patriotische Looks gefragt. Am Kurfürstendamm sprechen die Verkäuferinnen in den Designerboutiquen inzwischen russisch

von MATTHIAS ECHTERHAGEN

Sie umschwärmen die Gedächtniskirche „wie Fliegen den Kronleuchter“ schrieb der russische Dichter und Sprachwissenschaftler Wiktor Schklowski über die emigrierten Russen Anfang der 20er-Jahre in seinem Erzählfragment „Zoo oder Briefe nicht über die Liebe“. Das russische Emigrantenmilieu bestand damals in Berlin zu einem großen Teil aus Unternehmern, Geschäftsleuten, zarentreuen Politikern und Offizieren. Für deren feinere Bedürfnisse waren die russischen Juweliere, Kunstschneider und Pelzsalonbesitzer am Kurfürstendamm zuständig. Die meisten von ihnen flüchteten 1923 vor der Weltwirschaftskrise nach Paris.

Seit dem Ende der Sowjetunion ziehen Russen am Kurfürstendamm nun wieder ihre Kreise. Bei Luxusdesignerläden wie Hellmann, Versace, Jil Sander, Gucci, Louis Vuitton, Escada, Prada gehören sie zur Stammkundschaft. Von den „Neuen Russen“ spricht man in diesen Läden nicht mehr. „Die Zeiten, in denen schnell reich gewordene Russen die Regale leer kaufen, sind vorbei“, meint der „Shopmanager“ eines Luxuswarengeschäfts am Ku’damm, der namentlich nicht genannt werden möchte. Dafür müssten die Modelle allerdings nicht mehr so schrill und auffällig wie noch vor ein paar Jahren sein.

Beliebt ist bei den russischen Käufern darum zurzeit vor allem die neue Kofferkollektion der „Schwarzen Herrenserie“ des französischen Luxusdesigners Louis Vuittons. Nach jahrelanger Fixierung auf alles, was westlich fett und teuer war, klingen Produktnamen wie „Taiga“, „Ural“, oder „Kasan“ vertraut nach Heimat und doch gerade noch exotisch genug. Marc-Olivier Hette, „Directeur“ bei Louis Vuitton am Kurfürstendamm, ist sich sicher, genau im Trend zu liegen: „Vom Stil her ist die neue Kollektion sehr militärisch und gleichzeitig russisch angehaucht. Es geht so ein bisschen in Richtung Anna Karenina.“

Schlichtheit und Unauffälligkeit isind angesagt, auch was den Ausweis der Marke angeht. So sind die Herstellerinitialen zum Beispiel nur winzig klein auf das geblümte Innenfutter des Mantels gestickt, und die Absatzschuhe haben das Label auf der Sohle versteckt. Langsam die Beine übereinander schlagen, den Mantel unachtsam über den Stuhl hängen lassen: Kenner werden sowohl in Berlin als auch in Moskau die flüchtigen Spuren zu lesen wissen.

Hette zeigt eine Tasche mit Graffito-Aufdruck: „Hier ist das Label schon ziemlich groß. Aber es ist auch ein bisschen künstlerisch.“ Eine „irrsinnig große Nachfrage“ bestehe nach der Tasche, ergänzt er, schließlich werde sie auch von Prominenten getragen. Die Auslieferung werde daher städteweise reguliert, genau wie bei dem schlichten Rock für 5.000 Mark, den es in Moskau und Berlin jeweils nur einmal geben darf: „Wir wollen ja nicht, dass eine Kundin auf eine Party geht und dort Gäste mit derselben Kleidung trifft.“

Am Kurfürstendamm stehen dem russischen Jetset inzwischen viele russische Verkäuferinnen zur Verfügung. Wie Marina, die seit sieben Jahren als Verkäuferin in einem Luxusdesignladen arbeitet. Ihre Kunden teilt sie in Kategorien ein. Da sind „die Juden“: Sie sind geizig, kaufen nur vor feierlichen Anlässen zu Repräsentationszwecken und fragen nach Prozenten, weiß Marina, die wie viele Russen ein eher ungebrochenes Verhältnis zum Antisemitismus hat. Die Deutschen: pragmatisch, vorsichtig, sparsam. Und schließlich die Russen: Sie sind selbstvergessen, großzügig, eben „russisch“, weiß Marina, und erzählt von ihrer Freundin, die Diamantenringe trage, obwohl sie nur Kosmetikerin sei: „Ich finde es schön, wenn ein Mann einer Frau Diamantenringe schenkt, um ihr zu beweisen: So viel bist du mir wert!“

Die verschwenderische Großherzigkeit hat allerdings auch bei der zahlungskräftigen russischen Kundschaft aus Moskau ihre Grenzen. In der russischen Metropole gibt es die begehrten Luxusartikel nur in Dollar, und sie sind dort mindestens um die Hälfte teurer als in den europäischen Modemetropolen. Darum lohnt sich ein Kurztrip nach Westeuropa. Außerdem besteht die Möglichkeit, sich über eine Ausfuhrbestätigung beim Zoll zehn bis zwölf Prozent der Mehrwertsteuer zurückzuholen – bei einer Tasche, die mehrere tausend Mark kostet, ist das nicht wenig Geld.

Die Achse Berlin–Moskau funktioniert sehr gut, was den Luxuswarenverkehr betrifft. Kunden, die sich für einen Kurzbesuch im Nobelhotel Kempinski einmieten, um am Kurfürstendamm shoppen zu gehen, reichen gewöhnlich die Visitenkarten der Verkäuferinnen unter Freunden und Verwandten in Moskau weiter. So weitet sich das Netz aus. Die Beziehungen zwischen der Kundschaft und dem Verkaufspersonal sind freundschaftlich und intim. Schließlich geht es um das Aussehen. Und daran hängt in russischen Kreisen sehr viel.

In den wohlhabenden Kreisen der russischen Gemeinde von Berlin ist das nicht anders. Bei Cocktailempfängen und Produktpräsentationen ihres Ladens dürfe sie nie zweimal dasselbe Kleid anziehen, sagt Marina: „Da würde man über mich reden.“ Im Übrigen verstehe sie sich eher als Modeberaterin denn als Verkäuferin. „Es macht Spaß, wenn Kolleginnen aus den anderen Läden kommen und mich um ihren Rat fragen.“

Unersetzlich wird Marina, wenn wieder ein Kunde per Handy aus Moskau anruft. Dann hört sie geduldig den Wünschen zu, berät, macht Vorschläge und nimmt die Bestellungen auf. Telefonshopping, das ist der neueste Trend auf dem russischen Kurfürstendamm.

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