: Wippeschaukelrutsche?
■ So unoriginell, wie Spielplatzplaner gerne glauben, sind Kinder gar nicht / Hoch im Kurs: Baumhaus und Wiese mit Wasserstelle Von Patricia Faller
„Wenn man Kinder fragt, wie denn ihr Spielplatz aussehen soll, dann sagen neun von zehn das Herkömmliche“, behauptet Heiner Baumgarten von der Hamburger Umweltbehörde. Und meint damit quietschorange Rutschen, leuchtendblaue Häuschen oder knallrote Wackeltiere. Wie originell Knirpse tatsächlich sind, wenn man sie nur zu Wort kommen läßt, bewiesen SchülerInnen der Grundschule Bahrenfelder Straße in Altona. Das „herkömmliche“ Wippeschaukelrutsche des Herrn Baumgarten kam bei ihnen nicht vor.
Statt dessen steht der Abenteuerspielplatz hoch im Kurs. Die SchülerInnen wollen sich mit „Holz und Nägeln“ selbst was bauen – z. B. Baumhäuser, die man nur über Strickleitern erreichen kann. Auf den Spielplätzen sollte man sich verstecken können, sie sollten eine Wasserstelle haben, Tiere oder einen Garten und eine Wiese zum Picknicken. Klettergerüste und lange Tunnelrutschen sind auch sehr gefragt. Statt betonierter Fußballfelder, auf „denen man sich leicht blutige Knie holt“, wünschten sie sich Rasenflächen, Basketballkörbe oder Tennisplätze.
Jedoch: Die meisten Spielplätze sind nach dem gleichen Strickmuster angelegt – Schaukel, Rutsche, Sandkiste und Klettergerüst. Hartnäckige Unzufriedene brachten allerdings etwas Frischluft in die Planerköpfe: „Immer wieder kamen Nachfragen nach Skateboardbahnen, Streetball oder Beachvolleyball“, ezählt Baumgarten. Das und auch seine eigene Unzufriedenheit hätten vor drei Jahren zu dem Pilotprojekt „Spielraum Stadt“ geführt, das zunächst in Eimsbüttel-Nord gestartet wurde. Dort wurde geprüft, was schon vorhanden ist, wo freie Flächen sind, welche Schulhöfe auch nachmittags genutzt und welche Straßenabschnitte stillgelegt werden könnten. Kinder in Kitas oder Schulen durften ihre Wünsche aufmalen, Initiativen und einzelne BürgerInnen ihre Ideen äußern. Dulsberg und Wilhelmsburg sollen folgen. Pro Jahr gibt die Umweltbehörde rund ein bis zwei Millionen Mark für Spielräume aus. „Das ist schnell verbaut“, räumt Heiner Baumgarten ein.
Doch nicht alle sind von einem solchen Konzept begeistert. Als eine Arbeitsgruppe der Stadtteilkonferenz Hamm kürzlich VertreterInnen der Bezirksversammlung einlud, über „Freizeitprojekte in vertrauter Umgebung“ für Sechs- bis Siebenjährige zu diskutieren, glänzten die PolitikerInnen durch Abwesenheit.
Die Saga, die größte Wohnraumvermieterin Hamburgs, will auch neue Wege gehen. „Der Trend geht zu multifunktionalen Anlagen, die zum Teil von der Stadtentwicklungsbehörde gefördert werden“, erklärt Sprecher Hermann Boekholt. Neben Bereichen für Kleinkinder gibt es dort für die Jugendlichen Streetball, Skateboard oder Beachball. Rund vier Millionen Mark gibt die Siedlungsgesellschaft pro Jahr für die Kinder und Jugendlichen aus. Was dafür zu haben ist, kann man sich leicht ausrechnen, wenn man bedenkt, daß allein die Wackeltiere pro Stück etwa 600 Mark, ein „Mehrzweckgerät“ mit Klettertürmen und Rutsche rund 20.000 Mark kosten.
„Die genormten Spielplätze bieten wenig Anregungen für die Kinder und Jugendlichen“, kritisiert Peter Kromminga vom Verband Hamburger Spielplatzinitiativen. Kinder müßten sich kreativ mit ihrer Umwelt auseinandersetzen können. Die 107 Abenteuer-, Aktiv- und Bauspielplätze und Spielhäuser – meist in freier Trägerschaft, die mit rund 15 Millionen Mark jährlich von der Stadt gefördert werden – seien da zwar schon auf dem richtigen Weg, aber auch sie seien „Spielghettos“. Krom-minga plädiert für eine Wohnungs- und Standortpolitik, die Brachflächen zuläßt, die Kinder selbst erobern und gestalten können.
Eine andere Art, wie Kinder wieder mehr Raum in den Städten einnehmen können, bietet der Verein „SpielTiger“. Mit drei Spielmobilen steuern die MitarbeiterInnen öffentliche Plätze oder Wiesen an, um die Kinder dort zum Spielen zu ermuntern.
Zum Thema: Forum für Kinder und Jugendarbeit, Zeitschrift des Verbands Hamburger Spielplatzinitiativen, (Heft 1/96), Altonaer Straße 34, 20357 Hamburg
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