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Verschleppt, verschliffen, vergessen

Das Projekt „Markierung des Mauerverlaufs“ versandet in den Mühlen der Demokratie. Funkstille herrscht über die Forderung des Parlaments, der Senat solle ein Konzept vorlegen  ■ Von Katrin Bettina Müller

Sechs Jahre leben wir jetzt ohne Mauer, doch die Leerstelle, die ihr Abriß in der Stadt und in den Köpfen hinterließ, ist noch immer fühlbar. Daß Berlin keine einheitliche Stadt ist, bekommt jeder mit, der die ehemalige Grenze überquert. Man spürt den Wechsel der Tonart, das andere Verhältnis zur Geschichte, zur Architektur und zum öffentlichen Raum. Überwunden ist der Riß, der durch die Stadt ging, noch lange nicht; in der sozialen Kommunikation verschärfen sich seine Nachwirkungen gar. Nur, wo die Mauer topographisch genau verlief, läßt sich oft kaum noch ausmachen (siehe taz 11. 8. 96). Brachland und Wildwuchs verschleifen ihre Spur, Baustellen und Halden legen sich quer.

An diesem Punkt setzen die Ideen der Mauermarkierung an, die im Juni 1995 auf einem Hearing diskutiert wurden, das die Senatsverwaltungen für Bauen und Wohnen und für kulturelle Angelegenheiten gemeinsam mit dem „Berliner Forum für Geschichte und Gegenwart e. V.“ veranstalteten. Zwei Konzepte, den 43 km langen innerstädtischen Grenzverlauf sichtbar in den Grund der Stadt zu schreiben, lagen vor und waren auf Antrag des Berliner Abgeordnetenhauses schon 1994 probeweise realisiert worden: Der Architekturhistoriker Gerwin Zohlen zeichnete die Mauer mit einem Kupferband nach, die Künstlerin Angela Bohnen verlegte rote und blaue Streifen aus farbigem Beton für die Vorder- und die Hinterlandmauer, die auch die Tiefe des Grenzraums erfahren lassen.

Doch im Vordergrund des Hearings standen die Fragen, wer über Formen der Erinnerung zu entscheiden habe und wie die materielle Spur mit einer Aufarbeitung der Geschichte zu koppeln sei. Ein eklatanter Mangel schälte sich heraus: Noch fehlten die Diskussionen zwischen Ost und West über die Erfahrungen mit der Mauer. Fast nur aus westlicher Perspektive wurde über ihre symbolische Bedeutung geredet. Eine Markierung ohne breite Beteiligung der Betroffenen sei daher vermessen und vorschnell. Deshalb wurde dem Senat empfohlen, Bezirke, Bevölkerung und bestehende Geschichtsinitiativen in die Erinnerungsarbeit einzubeziehen. Daraufhin forderte das Abgeordnetenhaus den Senat auf, bis zum 15. März 1996 ein Konzept vorzulegen.

Seitdem herrscht Funkstille. Die Senatsbauverwaltung, Referat Kunst im Stadtraum, bat um Verländerung seiner Berichtspflicht bis zum 31. Oktober 1996 und führt als Hindernisse für sein Schneckentempo Regierungswechsel und Haushaltssperre an. Sie seien gerade dabei, berichtet Michael Agtha, dem „Forum für Geschichte und Gegenwart“ den Auftrag für ein Strategiepapier zu erteilen.

Umständlich und langwierig scheint dieser Weg. Weder von politischer noch von öffentlicher Seite wurde seitdem Druck gemacht. Auch die Fraktion der Bündnisgrünen, die sich seit 1992 hinter das Thema der Markierung geklemmt hatte, fragte erst anläßlich des 13. August wieder in einem offenen Brief an Diepgen nach. Monica Geyler, Mitglied des „Forums“ vermutet, daß allgemeine Denkmalsmüdigkeit, ausgelöst von der Enttäuschung über die strittigen Ergebnisse der Wettbewerbe zum Holocaust-Denkmal und der Mauergedenkstätte in der Bernauer Straße, hinter dem mangelnden Interesse stehen. Dennoch hält sie das Vorgehen für gut, denn jede schnelle Entscheidung über eine Form der Markierung drohe die Geschichte als abgehakt ad acta zu legen.

Keine der Institutionen, Geschichtsvereine und bezirklichen Vertreter, die auf dem Hearing den kleinteiligen und differenzierten Dialog zwischen Ost und West forderten, hat inzwischen Versuche gestartet, diesen Prozeß anzuzetteln. Nur Angela Bohnen wurde im Februar noch einmal aktiv und befragte die Bewohner in der von der Mauer zerteilten Bouchéstraße. „Dabei kam sehr viel über den Schrecken des Lebens an der Mauer und die Anmaßung, das in einem Denkmal zu fassen, zur Sprache“, erinnert sich Gabi Dolff-Bonekämper, die dabei eine Gesprächsrunde zwischen den Anwohnern moderierte. Wieder bestätigte sich, daß bisher ein Bogen um das Thema geschlagen wird, denn an der Interpretation der Mauer könnte ein längst nicht ausgestandener Konflikt zwischen den ideologisch geprägten Sozialisationen in West- und Ostberlin ausbrechen. Angela Bohnens Methode trägt der notwendigen Auseinandersetzung durchaus Rechnung und ihr Konzept unterschreitet die Schwelle zum Denkmalhaften, das eine eindimensionale Interpretation der Geschichte vorgibt. Doch die Sendepause seitens des Senats hat auch ihr den Wind aus den Segeln genommen.

Alle Abbildungen mit freundlicher Erlaubnis des Argon/Nicolai-Verlags aus dem im September erscheinenden Buch „Wo die Mauer war“

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