Debatte: „Totalitär“
■ AStA zu den Chaostagen
Die Chaostage sorgen eine Woche später noch immer für Zündstoff. Nach Radio-Bremen Kommentator Gerald Sammet (taz 6.8.) und Bürgermeister Henning Scherf (10.8.), hat sich jetzt auch der Allgemeine Studentenausschuß der Universität Bremen zu Wort gemeldet:
Wie aus der Presseberichterstattung der letzten Tage bekannt, herrschte auch in Bremen am vergangenen Wochenende der „Ausnahmezustand“. Angesichts der angekündigten „Chaostage“ wurden insbesondere im Steintorviertel Platzverweise nach Aussehen verteilt und Festnahmen nach dem Zufallsprinzip durchgeführt. Wer auf seiten von Polizei und Innenpolitik schon immer einmal das „Viertel“ sozial oder auch politisch „gesäubert“ sehen wollte – das vergangene Wochenende bot Gelegenheit zum großen „Halali“.
So wundert es nicht, daß hinterher die Bremer „Chaostage“ nicht nur als polizeilich durchgesetzte Erziehungsmaßnahme für schlampig gekleidete Jugendliche, sondern auch als Schlag gegen den Kern der linksradikalen Bremer Szene gefeiert wurden. Wer in den Reihen der nicht-bunthaarigen Öffentlichkeit Zweifel daran gehegt haben mochte, daß eine größere Gruppe Punks in der Stadt oder „die Vision von Schutt und Asche“ in besorgten LadenbesitzerInnenköpfen, den Einsatz der Polizeikräfte denn tatsächlich rechtfertigte, sollte nun wohl im nachhinein beruhigt werden. Immerhin, die richtig und eigentlich Bösen, die ausgewachsenen Autonomen, hatten hier so ganz nebenbei ihr Fett wegbekommen. KritikerInnen des gesamten Vorgehens, die zum Beispiel die unmöglichen Haftbedingungen moniert hatten, müssen sich nun von einem mäßig unter Beschuß geratenen Innensenator ihre übermäßige Empfindsamkeit vorhalten lassen. Wer sich freiwillig auf den Gehwegplatten der Sielwallkreuzung niederläßt, könne doch auch gegen den Betonboden von Kasernen nichts einzuwenden haben, hält Borttscheller den zart Besaiteten entgegen.
Fragen wie Bewegungsfreiheit der Betroffenen oder die Verhältnismäßigkeit der angewendeten Mittel scheinen angesichts der Chaosprävention nebensächlich: „Bei einem Platzverweis geht man eben nach Hause“ (Borttscheller). Wo gehobelt wird, da fallen Späne, und das auch in der Politik - so soll der Fall offenbar abgehandelt werden.
Mit etwas Abstand betrachetoffenbart sich hier ein Szenario, das jeglicher Komik entbehrt. Über Wochen wurde in Hannover und Bremen ein „innerer Feind“ aufgebaut. Die Dämonisierung mündete dann auch in progromartigen Übergriffen, Massenverhaftungen und – Internierungen, und das alles auf der Basis der äußeren Erscheinung der Betroffenen.
Da paßt es ins Bild, wenn (laut Zeugenaussagen) ein Polizeieinsatzfahrzeug einen vermeintlichen „Punker“ vorsätzlich an- und überfährt.
Das Szenario könnte totalitären Staaten entlehnt sein: Allein durch die Zugehörigkeit zu einer Sub-Kultur gehen elementare Rechte (wie die Bewegungsfreiheit) verloren, eine Straftat muß erst gar nicht bewiesen, ja noch nicht mal vorgefallen sein, um zu Strafmaßnahmen zu führen. Das Verhältnis von Verdacht zu Polizeimaßnahme zeigt einen politischen Stil, der in Zeiten zunehmender sozialer Spannungen einiges befürchten läßt.
Eine Polizeigesetzgebung, die dieser Praxis den „legalen“ Boden bereitet, hat in einem Rechtsstaat keinen Platz – ein Innensenator, der dieses Vorgehen propagiert, forciert und noch nicht einmal bereit ist, hierzu öffentlich Stellung zu beziehen ,muß seinen Hut nehmen. Norbert Schepers, für den AStA der Universität Bremen
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