: Kein PVC mehr an Großbauten
Nach dem Flughafenbrand von Düsseldorf empfiehlt der grüne Bauminister Vesper halogenfreie Baustoffe. Darüber schnaubt der SPD-Fraktionschef ■ Von Walter Jacobs
Düsseldorf (taz) – Für Klaus Matthiesen, Fraktionschef der SPD, ist der Standort NRW gefährdet – mal wieder. Bedroht wird er durch den grünen Bauminister Michael Vesper. Der hat einen PVC-Erlaß herausgegeben. Vespers amtliche Empfehlung, bei Großbauten wie Flughäfen und Krankenhäusern nur solche Baustoffe zu verwenden, die „frei von Halogenen sind“, sei „gegen die Interessen des Wirtschaftsstandortes NRW und gegen die Arbeitsplätze in der chemischen Industrie“ gerichtet, schimpft Klaus Matthiesen.
Nicht viel freundlicher fiel das Verdikt des sozialdemokratischen Wirtschaftsministers Wolfgang Clement aus: „Verfrüht, voreilig und sachlich nicht haltbar“, geißelte er den Erlaß. Per Fax ließ sich Clement vom Chemiekonzern Hüls AG aus Marl informieren. So stellte das Unternehmen eine dreiseitige Liste mit den Halogengehalten anderer Baustoffe zusammen und verband diese Sendung mit der Hoffnung, so der Absender Dr. Joachim Mügge, „daß diese Informationen für die weitere Diskussion mit Ihrem Ministerkollegen Dr. Vesper hilfreich sind“.
Doch Vesper, der mit seinem Erlaß auf die tödliche Brandkatastrophe am Düsseldorfer Flughafen reagiert hatte, blieb hart. Gestärkt wurde seine Position jetzt durch ein Gutachten des Wuppertaler Brandsachverständigen Prof. Wolfram Klingsch. Um die Brandrisiken zu minimieren, so lautet die Empfehlung des vom Düsseldorfer Bauaufsichtsamt mit der Untersuchung beauftragten Wissenschaftlers, solle „zukünftig zunehmend auf halogenfreie Kabel umgestellt werden. Die Begründung ist weniger darin zu sehen, daß keine Chloride bei der pyrolytischen Zersetzung freigesetzt werden, sondern daß die aus den Kabeln resultierenden Rauchmengen im Brandfalle minimiert werden.“ Im Brandfall sei diese Rauchentwicklung eine „primäre Gefahrenquelle für die Phase der Personenevakuierung“.
Während Clement und Matthiesen den grünen Minister noch als Standortrisiko und Arbeitsplatzkiller hinzustellen suchen, haben Geschäftsleitung und Aufsichtsrat des Düsseldorfer Flughafens unterdessen beschlossen, bei der Sanierung und beim Neubau der ausgebrannten Flugsteige auf PVC-haltige Kabel zu verzichten.
Weg von den PVC-Kabeln will auch die Bonner SPD-Bundestagsfraktion. In Gebäuden mit starkem Publikumsverkehr, so heißt es in einem Fraktionsantrag, sollten künftig „keine PVC-Ummantelungen“ mehr verwendet werden. Auch der Hauptvorstand der Gewerkschaft Holz und Kunststoff kritisierte Clements Position als „nicht verständlich“. Schon heute gebe es für viele PVC-Produkte in den „betroffenen Betrieben Alternativen im Angebot, so daß eine Umstellung bei entsprechender staatlicher Hilfe schnell erfolgen könnte“.
Das sieht die Geschäftsleitung der Bergheimer „Martinswerk GmbH“ in einem Schreiben an Clement ähnlich: „Durch die Forcierung der technologisch anspruchsvolleren halogenfreien Systeme“ biete sich im „Gegenteil“ zu den Ministeraussagen „für die einschlägige Industrie eine willkommene Möglichkeit zur stärkeren Differenzierung im Markt, da hier die Wettbewerbssituation u.a. durch Billigimporte aus Süd- und Osteuropa weitaus weniger gegeben ist“. Alle „maßgeblichen deutschen Kabelhersteller bieten heute bereits halogenfreie, flammgeschützte Kabelsysteme an. Ein Nachteil ist für die Hersteller somit nicht zu erkennen.“ Tatsächlich eröffne der Vesper-Erlaß „eine Chance für die einheimische Industrie“.
Gewiß, auch das Martinswerk streitet auch in eigener Sache. Mit seinen 530 Beschäftigten gilt das Unternehmen als der „weltweit führender Hersteller von Flammschutzadditiven“, die auch in halogenfreien Kabelsystemen zur Anwendung kommen. Dennoch liegt das Unternehmen mit seiner Behauptung richtig, daß halogenfreie Materiallösungen in Zukunft dazu führen, daß bei Bränden wie am Düsseldorfer Flughafen „Menschenleben besser zu schützen“ sind.
An Clement erging aus Bergheim die Bitte, sich doch vor Ort das Thema eingehend erläutern zu lassen. Noch steht eine Antwort auf den Brief vom 1. Juli aus. Mit „urlaubsbedingter“ Verzögerung wird das lange Schweigen im Wirtschaftsministerium erklärt.
Da klappt die Kommunikation mit der Marler Hüls AG doch wesentlich besser. Schon am 27. Juni besprach Vorstandsmitglied Peter Purwien mit Clement den Vesper- Erlaß. Einen Tag später lief das Faxgerät im Düsseldorfer Ministerium heiß. Absender: die Hüls AG.
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