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Karriere durch starke Persönlichkeit

Zwei Anthroposophinnen aus Berlin schulen zukünftige Führungskräfte und Manager. Für ihr Projekt „Charis“ verzichten sie nicht auf Familienleben und Kinder. Der Abschied von verstaubten Dogmen fand zunächst wenig Beifall  ■ Von Anja Dilk

Was sie taten, war fast schon revolutionär. Statt sich den ganzen Tag um ihre Kinder zu kümmern, wollten Silvia Fuhs und Annette Kurz arbeiten gehen. Freiwillig. Mit biederen Heimchen am Herd haben die beiden schwarzgekleideten Ladies, die gelassen an ihrem Orangensaft nippen, nichts zu tun. Eine elegante Altbauwohnung in Berlin-Charlottenburg, wo verknautschte Sessel neben antiken Kommoden und stilvollen Lampen stehen, ist ihr Arbeitsplatz geworden. „Charis“ heißt das Projekt, das künftige Manager und Führungskräfte weiterbildet. Um es aus dem Boden zu stampfen, mußten Silvia Fuhs und Annette Kurz einige Hürden nehmen. Denn die Ideen der Anthroposophinnen fanden in ihrer Umgebung zunächst wenig Beifall.

„Die anthroposophische Frau soll eben eine gute Mutter sein, sich mit gesunder Ernährung, schadstoffarmer Kleidung und Kindererziehung beschäftigen“, sagt Silvia Fuhs. Um solche Vorurteile kümmerten sich die beiden Berlinerinnen nicht. 1989 gründeten sie einen Hort, wo ihre Kids auch nach der Schule untergebracht waren. Zunächst wurde ihre Arbeit einfach boykottiert. „Daß wir ohne Not arbeiten gehen, war für viele Anthroposophen an der Waldorfschule unfaßbar“, erinnern sie sich. Doch diese Zeiten sind vorbei.

Inzwischen, sagt Annette Kurz, ist der Hort eine feste Institution. Und bei Elterntreffen an der Schule wird heute nicht mehr bloß gestrickt und gebastelt, sondern auch diskutiert. Doch das Bild von der klassischen Frauenrolle spukt noch immer durch die Köpfe. Ab und zu spüren sie den Vorwurf: Du bist eine schlechte Mutter.

Über solche Klischees können sie heute nur müde lächeln. „Da muß man sich nicht über die blöden Vorurteile gegenüber Anthroposophen wundern“, sagt Annette Kurz. „Wir sind starke Frauen. Und diese Vorstellungen sind eine total oberflächliche Auslegung der Schriften Steiners.“ Der habe sich da gar nicht so genau festgelegt. Silvia Fuhs kramt ein engbeschriebenes Blatt hervor: „Die Frau ist berufen, ihr Selbst zu finden.“

Anthroposophie und Arbeit sind ihr Lebenselixier. Das sagen zwei Frauen, die nicht mit den Lehren Steiners aufgewachsen sind. Silvia Fuhs bekam durch ihre drei Kids den Kick zur Anthroposophie. Als sie zum erstenmal schwanger war, sah sich die Sonderschullehrerin nach neuen Erziehungsmodellen um. Und stieß auf Steiner. „Der ganzheitliche Ansatz hat mich fasziniert.“ Mit einer Erzieherin gründete sie einen Waldorfkindergarten. Später initiierte sie eine Schule in Klein- Machnow: die erste Berliner Ost- West-Waldorfschule.

Da lernte sie Annette Kurz kennen: eine Schauspielerin, Mutter von zwei Kindern, die, „auf der Suche nach dem Geistigen“, ebenfalls zur Anthroposophie fand. „Endlich stand alles da, was ich immer gedacht hatte: Die geistige Welt ist eine Realität, die man sich erarbeiten kann“, erzählt sie. Daß die 41jährige sich bei den Steinerschülern ganz zu Hause fühlt, ist in dem stuckverzierten Zimmer mit dem großen Holztisch nicht zu übersehen. „Der achtgliedrige Pfad“ steht auf einem Plakat an der Wand, eine Skizze von Planetenqualitäten gleich gegenüber.

Doch bei aller Begeisterung: Etwas hat die beiden schon immer gestört bei ihrem Engagement in der Waldorfschule: Konflikte wurden unter den Teppich gekehrt, die Zustände schöngeredet. „Schon im Waldorfkindergarten habe ich die unterschwelligen Konflikte einfach mal aufgeschrieben und dann alle damit konfrontiert“, sagt Silvia Fuhs. „Die waren platt.“

Aus der Suche nach neuer Offenheit, nach unverstaubter Anthroposophie, wurde im Mai 1993 „Charis“. Annette Kurz und Silvia Fuhs machen Biographiearbeit. Sie nennen das „die Suche nach der eigenen Schicksalslinie“. Der Projektname ist Programm. Die drei Chariten, Töchter des griechischen Gottes Zeus, stehen für Glanz, Blüte und Frohsinn. Und das wollen die beiden Frauen der Anthroposophie bringen.

Was sich anhört wie ein Schmusekurs von Esoterikfreaks, ist ein gezieltes Seminar für Berufstätige, gedacht für Führungskräfte aus allen Berufsgruppen: Ärztinnen und Krankenpfleger, Lehrerinnen und Sozialarbeiter. Etwa alle sechs Wochen treffen sie sich, halten Vorträge, tauschen sich über Berufserfahrungen oder Probleme aus. Manchmal wird gezeichnet oder mit Ton gearbeitet.

Als Therapeutinnen verstehen sich Annette Kurz und Silvia Fuhs keineswegs. Was sie vermitteln, ist eine Art Hilfe zur Selbsthilfe. Was sind meine zehn besten, was meine schlechtesten Eigenschaften? In welchen Lebenssituationen habe ich Angst, wo weiche ich aus, welchen Konflikten begegne ich immer wieder? Solche Themen werden auf Fragebögen angesprochen und gemeinsam besprochen. Der Sinn der Sache: Selbsterkenntnis für neues Selbstbewußtsein.

Zwei Jahre dauert die Ausbildung bei „Charis“. Der Terminus Ausbildung ist allerdings irreführend. Denn es geht nicht um eine Weiterbildungsmaßnahme mit abschließendem Zertifikat. Vielmehr sollen Berufstätige lernen, am Arbeitsplatz flexiblere Strukturen zu entwickeln. Von offenem Umgang mit Kollegen ist da die Rede, von Konfliktlösung und menschlichem Auftreten. Daß gerade im Berufsleben Persönlichkeit und gesellschaftliches Verantwortungsbewußtsein eine zentrale Rolle spielen, vermitteln die „Charis“- Frauen ihren TeilnehmerInnen. Im Klartext: Wie kann man in der Wirtschaft sozial handeln, und doch rollt der Rubel?

„Das Wirtschaftsleben läuft nach ähnlichen Gesetzen wie das Privatleben“, sagt Annette Kurz, „Ich muß wissen: Wer bin ich, wie funktioniere ich in einer Führungsposition, welche Interessen und Ziele habe ich, um ein Unternehmen zu gestalten.“ Es geht auch um „mehr Weiblichkeit im Wirtschaftsleben“: weg von starren Strukturen, hin zu mehr Intuition.

Management hin oder her: Als „Karrierefrauen mit Kostümchen und Macht“ sehen sich Silvia Fuhs und Annette Kurz nicht. Zwar macht Silvia jetzt nebenher eine Ausbildung in Gestalttherapie, Annette bildet sich mit Wirtschaftswissen weiter. Doch wenn ein Kindergeburtstag ansteht, gibt es keinen Seminartermin. Die beiden Anthroposophinnen wollen Muttersein und Beruf nicht gegeneinander ausspielen, sondern unter einen Hut bringen. „Das Wichtigste“, meint Annette Kurz, „ist, mit sich eins zu sein. Dann ist es genauso toll, sieben Kinder großzuziehen, wie Karriere zu machen.“

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