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Kampf der Schienengiganten

Erstmals findet die Verkehrsmesse „Innotrans“ in Berlin statt. Um Großaufträge konkurrieren weltweit drei Konzerne  ■ Von Hannes Koch und Michael Schwager

Berlin/Erlenbach (taz) – Erstaunliche Nachrichten kommen aus dem Land der unbegrenzten Automobilität. In einigen Großstädten der USA werden Straßenbahnen gebaut. Nur so bestehe Hoffnung, den Verkehrsinfarkt in letzter Minute zu vermeiden, meinen die Stadtverwaltungen von Boston, San Diego und Portland. Selbst die Vorreiterin der autogerechten Stadt, Los Angeles, richtet neue Straßenbahnlinien ein.

Aus Entwicklungen wie dieser wollen die Organisatoren der Internationalen Fachmesse für Verkehrstechnik, „Innotrans“, Honig saugen. Erstmalig treffen sich ab heute Vertreter von rund 200 Firmen, Ingenieurbüros und Verbänden auf dem Berliner Messegelände und einem benachbarten Bahnhof, um alles auszustellen, was irgend etwas mit dem öffentlichen Verkehr zu tun hat.

Die Palette reicht von neuen Abrechnungssystemen für Fahrkarten über Niederflurstraßenbahnen bis zum Kopfteil des zukünftigen ICE3. Weltweit einzigartig habe die Messe den Anspruch, nicht nur einzelne Segmente wie Güterwaggons oder Logistik, sondern öffentliche Verkehrssysteme in ihrer Gesamtheit zu präsentieren, erklärt Joachim Körber, Geschäftsführer des Verbandes der Deutschen Bahnindustrie.

Die Branche fühlt sich im Aufwind. Optimistisch hat der Bahnverband hochgerechnet, daß der weltweite Markt für Schienenverkehrssysteme bis zum Jahr 2000 um acht Prozent jährlich wächst und dann ein Gesamtvolumen von 60 Milliarden Mark erreichen wird. „Der moderne Mensch will seine Zeit optimieren“, schätzt Bahnfunktionär Körber. Das sei mit Auto und Straße zumindest in den industrialisierten Ländern nicht mehr möglich. Der Stau fresse die Mobilität.

Nicht umsonst findet die Innotrans in Berlin statt. An der Spree sitzen zwei der drei Systemanbieter, die auf dem Weltmarkt um Großaufträge konkurrieren. Siemens hat erst vor kurzem seinen Vorstandsbereich für Verkehrstechnik nach Berlin verlegt. Der Elektrokonzern stellt hier außerdem Signal- und Sicherheitstechnik her. „Adtranz“ ist ein Zusammenschluß der Schienentechnik von Daimler-Benz und des schweizerisch-schwedischen Riesen ABB. Dieses Joint-venture fertigt in der Hauptstadt Straßenbahnen, S-Bahnen und Fernzüge. Siemens und Adtranz gemeinsam haben unlängst einen 650-Millionen- Auftrag für den Bau der U-Bahn der chinesischen Stadt Schanghai hereingeholt.

Einen zunehmenden Teil der Großaufträge machen die Systemanbieter unter sich aus. Sie haben den Vorteil, daß sie nicht nur Waggons, Signale oder Anrechnungssysteme anbieten, sondern ein komplettes Bahnsystem inklusive Gleisanlagen abliefern können. Um diese Fähigkeiten zu bündeln, hat Siemens Verkehrstechnik seit 1984 zehn Firmen geschluckt. In der heutigen Adtranz sind 27 Unternehmen verschwunden. Der dritte Konkurrent auf dem Weltmarkt, der französische TGV-Schnellzugproduzent GEC Alsthom, hat 18 vormals selbständige Unternehmen vereinnahmt.

Mit rund 6,3 Milliarden Mark Umsatz führte Adtranz die Hitliste 1994 an, dicht gefolgt von Siemens (4,3 Milliarden) und GEC (3,7 Milliarden). Die Weltmarktanteile 1995 waren so verteilt: Adtranz elf Prozent, Siemens acht, GEC rund sechs Prozent.

Angesichts der starken Position der Branchenriesen haben nur noch wenige andere Firmen weltweit mitzureden. Dazu gehören Bombardier aus Kanada, die vor allem Personenwaggons produzieren, sowie Hitachi und Mitsubishi, die den japanischen Hochgeschwindigkeitszug bauen.

Doch trotz der wachsenden internationalen Konkurrenz werden die meisten Aufträge noch national vergeben. Großaufträge der Deutschen Bahn AG sind für die deutsche Bahnindustrie, die im vergangenen Jahr im Inland und beim Export 7,5 Milliarden Mark umgesetzt hat, überlebenswichtig. Zu 60 Prozent ist die Branche von der DB AG abhängig. In den europäischen Nacharländern ist es nicht anders. Ob Österreich, Italien oder Frankreich: jedes Land baut seine eigenen Lokomotiven und Züge.

Wie im schönsten Sozialismus vergeben die früheren Staatsbahnen Großaufträge immer noch unabhängig von den Kosten an die nationale Bahnindustrie. Lediglich der französische Hersteller GEC Alsthom vermochte es bislang, mit seinem Hochgeschwindigkeitszug TGV auf ausländischen Konkurrenzmärkten Fuß zu fassen. Dagegen konnte Siemens seinen teureren und schwereren ICE bislang nicht auf dem internationalen Markt loswerden.

Mit der Umwandlung der großen Staatsbahnen in private Unternehmen gehen jedoch die goldenen Zeiten zu Ende. Wurde in der Vergangenheit der Bau von Einheitslokomotiven auf die heimische Industrie verteilt, so muß diese nun Vorleistungen erbringen und eigene Konzepte präsentieren. Wo früher nur der alte Schienenbus über die Gleise schaukelte, stehen mit den neuen Leichttriebwagen nun verschiedene Fahrzeuge zur Auswahl (siehe nebenstehenden Kasten).

Fachmesse „Innotrans“, 15.–18.10, Messe Berlin, Publikumstage 19./20.10. Bahnhof Innsbrucker Platz, jeweils 10–18 Uhr.

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