: Haider auf dem Vormarsch
■ Nach ihrem Wahlerfolg bei der Europawahl können Österreichs Populisten in aller Ruhe auf eine Selbstzerfleischung der Regierung hoffen und auf baldige Neuwahlen spekulieren Aus Wien Ralf Leonhard
Haider auf dem Vormarsch
Eine Wahlschlappe, kein Grund zum Feiern“, war der mürrische Kommentar von Bundeskanzler Franz Vranitzky. Personelle Konsequenzen halte er allerdings nicht für notwendig, erklärte der Regierungschef, als die Hochrechnungen den Sozialdemokraten ein historisches Debakel bescheinigten. Zum ersten Mal in der Zweiten Republik rutschte die Partei bundesweit unter die 30-Prozent- Grenze, während die bürgerliche ÖVP nach dreißig Jahren zur stärksten Partei wurde. Mit 29,6 gegenüber 29,1 Prozent hatte sie die Nase um Haaresbreite vorne.
Der eigentliche Wahlsieger heißt ohne Zweifel Jörg Haider, dessen Freiheitliche Partei sich um mehr als sechs Prozentpunkte steigern konnte und mit 27,6 Prozent das alte Zweiparteiensystem endgültig gesprengt hat.
Haider, der forsche Volkstribun, hat sich so als ernstzunehmende Alternative zur rot-schwarzen Koalition vorgestellt. Politologen, die der FPÖ bisher rund 25 Prozent prognostiziert hatten, wollen nicht mehr auszuschließen, daß die Freiheitlichen zur stärksten Partei werden können.
Schauplatz dieses innenpolitischen Machtkampfes waren die Wahlen zum Europaparlament. Erstmals seit Österreichs Beitritt zur Europäischen Union vor fast zwei Jahren wurden die Mandatare direkt gewählt. Bisher waren die 21 Sitze in Straßburg nach dem Schlüssel der letzten Nationalratswahlen verteilt. Nach dem Urnengang vom Sonntag verlieren die Sozialdemokraten je ein Mandat an ÖVP und Freiheitliche. Die Grünen verteidigten ihres mit deutlichem Stimmenzuwachs. Das Liberale Forum (LiF), das sich unter Heide Schmidt vor drei Jahren von der immer weiter nach rechts abdriftenden FPÖ trennte, konnte das Mandat nur mit viel Zittern halten. Für das Europarlament mit 626 Sitzen fürwahr kein Erdbeben, doch für Österreichs Innenpolitik ein Signal.
Während Klaus Hänsch, der Präsident des Europarlaments trocken feststellte, daß Österreich eigentlich nur im Trend liege, da in den meisten Ländern die Regierung bei Europawahlen schlecht abschneide, übertrafen einander hier in Wien die Kommentatoren mit Superlativen. Von „Desaster“ und „Waterloo“ der Roten war da die Rede. Der konservative Kurier sah „ein politisches Blutbad“ und interpretierte das Ergebnis als „Abschiedsbrief der Wähler an Franz Vranitzky“.
Zweifellos ist die Sozialdemokratie unter Druck geraten: Mehr als acht Prozent weniger als bei den Nationalratswahlen vom Dezember, das ist ein Ergebnis, das die schlimmsten Befürchtungen übertrifft. Der sprunghafte Stimmenzuwachs für Haiders Rechtspopulisten wird beim Koalitionspartner ÖVP jene Kräfte stärken, die schon lange die SPÖ ausbooten und mit den Freiheitlichen einen Bürgerblock bilden wollen.
Haider, dessen Partei in drei von neun Bundesländern (Kärnten, Salzburg, Tirol) zur stärksten Kraft avancierte und in fünf Landeshauptstädten an der Spitze liegt, kann jetzt in aller Ruhe abwarten, bis sich die Regierung in Selbstzerfleischung aktionsunfähig macht und Neuwahlen zum Nationalrat ausschreiben muß.
Schon werden Erinnerungen wach an einen Mann, der wie Haider in Oberösterreich zur Welt kam und in einem Nachbarland mit einer relativen Mehrheit von 33 Prozent die Macht übernahm. Schon als sich vor einem Jahr die Koalition über der Frage des Sparpakets verkrachte und sich selbst zu Neuwahlen zwang, fürchteten viele, daß Haiders Stunde geschlagen hätte. Am 17. Dezember konnte aber die SPÖ zu Lasten der Grünen und Linken ihr Ergebnis verbessern und Haider verlor Stimmen. Offenbar wollten die Wähler den Rechtspopulisten lieber als politisches Korrektiv denn als Regierungschef sehen. Doch er diktierte fortan die Themen.
In ihrer Furcht vor der „blauen Gefahr“ haben sich die ehemaligen Großparteien den fremdenfeindlichen Positionen Haiders immer mehr angenähert, auch wenn sie im Diskurs Toleranz pflegen.
Trotz der Überlagerung des Wahlkampfes durch die Bundespolitik hat dieses Ergebnis ohne Zweifel auch mit Europa zu tun. Unter den Nichtwählern, die am Sonntag bei 32 Prozent Enthaltung zur stärksten Gruppe wurden, bekannten sich bei einer Umfrage 48 Prozent als Europagegner. Freiheitliche und Grüne, die eine europakritische Linie vertreten und bei der Volksabstimmung 1994 gegen einen Beitritt waren, verzeichneten deutliche Gewinne. Die Koalition verlor insgesamt Stimmen.
Daß die ÖVP erstmals wieder, seit sie vor 26 Jahren einer SPÖ- Alleinregierung unter Bruno Kreisky Platz machen mußte, zur stimmenstärksten Partei wurde, darf nicht als Trendwende gesehen werden. Ihr gutes Abschneiden ist mit Sicherheit den attraktiven Kandidaten für das Straßburger Parlament zu verdanken, allen voran der Starjournalistin Ursula Stenzel und dem Habsburger- Sproß Karl. 36 Prozent der ÖVP- Wähler gaben an, daß Ursula Stenzel für sie der Wahlgrund gewesen sei. „Wir werden unsere Strategie ändern müssen und künftig Kaiserenkel aufstellen“, meuterte der Grünenpolitiker Thomas Prader, dessen Partei ihr Wahlziel der Mandatsverdopplung verfehlt hat.
Der Abbau des Sozialstaates und die drastisch gestiegene Arbeitslosigkeit werden mit dem Sparpaket und dem Druck, die Konvergenzkriterien für die Währungsunion zu erfüllen, in Zusammenhang gebracht. Die Zusicherung der Regierung, die EU-Mitgliedschaft würde sich wirtschaftlich positiv auswirken, hat sich bisher nicht erfüllt. „Außer Schlagobers“, sagt ein Wiener Gymnasiallehrer, „ist seit dem Beitritt nichts billiger geworden.“
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