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Coming out der Stiesel

■ Schon vor der Uni-Gründung gab es Wissenschaft in Bremen: Pilzforschung bis Sternenkunde unter dem Dach der „Wittheit“

Als Universitätsstadt ist Bremen gerade mal im Twen-Alter. Doch auch vor der Uni-Gründung anno 1971 tobte in der Hansestadt fernab der allgemeinen Beachtung ein wissenschaftliches Leben und wurde verifiziert, falsifiziert und sogar synthetisiert. Verantwortlich dafür, daß sich WissenschaftlerInnen aller Art und Fachgebiete zusammenfanden, ist die 1924 gegründete „Wittheit“. Diese „bürgerliche Wissenschaftsakademie“, wie Wittheits-Präsidentin Dr. Martina Rudloff sie nennt, hat sich seit den 20er Jahren auf die Fahnen geschrieben, wissenschaftliche Erkenntnisse der interessierten Öffentlichkeit zu vermitteln.

Jahr für Jahr erscheint zu diesem Zweck ein umfangreiches Programmheft, in dem sich Vorträge und sonstige Veranstaltungen zu ganz unterschiedlichen Themen finden. Von „Husserls Phänomenologie als Wissenschaftstheorie“ über „Schleppschiffahrt an der Unterweser“ und „Schillerfalter und Eisvögel“ bis zur „Molekulargenetischen Analyse an Skelettfunden“ reicht die Palette der Forschungsgegenstände, die den Laien der Stadt zur freiwilligen Weiterbildung anempfohlen werden.

Indes: Hört man sich in der Bevölkerung einmal um, so wissen nur wenige, daß es ein solches Angebot für sie überhaupt gibt. Denn über viele Jahrzehnte war die Wittheit ein eher verschrobener Insider-Zirkel, in dem die Pilzkundler und der Schmetterlingskreis, die Historische Gesellschaft, der Freundeskreis der Antike und wie sie alle heißen doch eher unter sich blieben. Erst unter der Präsidentschaft des vor zwei Jahren verstorbenen Prof. Christian Marzahn gelang es schließlich, das Image der „stieseligen Honoratiorenkiste“ (Vizepräsident Prof. Hans Kloft) endlich abzuschütteln.

Seitdem bietet die Wittheit, deren Name aus dem Niederdeutschen kommt und „Weisheit“ sowie „Rat der Stadt“ bedeutet, wirklich hochkarätige Veranstaltungen wie etwa die Vorträge des Nobelpreisträgers Prof. Manfred Eigen und des Innovationsforschers Dr. Walter Kroy in den letzten beiden Jahren. Den von Marzahn eingeschlagenen Kurs, möglichst renommierte Referenten nach Bremen zu holen, verfolgt auch Präsidentin Rudloff seit ihrem Amtsantritt weiter, damit der „Transmissionsriemen zwischen Wissenschaft und Bürgertum“ (Kloft) in Zukunft noch besser läuft.

Die langen Querelen mit der Uni, von der die Wittheit zunächst als Club wissenschaftlicher Laien angesehen wurde, sind heute jedenfalls überstanden und in eine wohlwollende Kooperation überführt worden. Was der Vereinigung laut Präsidentin Rudloff allerdings noch fehlt, ist der Mut, aus den über 80 angeschlossenen Vereinen endlich diejenigen rauszuschmeißen, „die schon seit Jahren dabei sind, einzurosten und sich totzulaufen“. Ein Vorhaben, das hoffentlich in die Tat umgesetzt wird, bevor sich daraus ein blinder Veranstaltungsaktionismus der bedrohten Mitglieder entwickelt, der dem Interesse der Öffentlichkeit nur schaden würde.

Moritz Wecker

Das Programm der Wittheit liegt an zahlreichen öffentlichen Stellen aus. Nähere Informationen bei der Wittheit, Baumwollbörse, Zimmer 334, Tel. 32 33 47.

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