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Schluß mit dem Schmuddel

In der Pohlstraße traf sich früher die Zuhälterszene. Inzwischen hat sich die Meile zum schmucken Quartier für Designerläden gemausert  ■ Von Christine Berger

Morgens um zehn ist der Nachbarschaftstreff in der Pohlstraße gerappelt voll. Ältere Damen aus dem benachbarten Seniorenheim sitzen über Kaffee und Kuchen zusammen und freuen sich über den Weihnachtsmann, der gerade Schokoladenlutscher verteilt. Der bärtige Vertreter der Jutesackfraktion hat sich vom nahe gelegenen Weihnachtsmarkt des Möbelriesen Hübner hierherverirrt.

Seit einem Jahr gibt es den Nachbarschaftsladen am südlichen Ende der Pohlstraße. Er ist nicht der einzige in der Straße, der noch keine großartigen Wurzeln in die Geschichte dieser Meile schlagen konnte. Tradition ist in der Pohlstraße, die nach der Stadtverordneten und Widerstandskämpferin Ottilie Pohl benannt wurde, schwer zu finden. Obwohl die Häuser fast ausnahmslos aus der Jahrhundertwende stammen, gibt es in der gesamten Straße kein Geschäft, das länger als zehn Jahre unter dem gleichen Besitzer geführt wurde.

Bianka Gerlach arbeitet im Nachbarschaftstreff mit. Sie kennt die Straße schon seit mehr als 25 Jahren. „Früher gab's hier vor allem Bordelle und Zuhälter“, erinnert sich die 46jährige. Später kam die Drogenszene, die sich auch jetzt noch bemerkbar macht. „Jeden Morgen sind die Blumentöpfe vor dem Friseurgeschäft, in dem ich arbeite, umgepflügt.“ Da suchen wohl Junkies nach verstecktem Stoff, vermutet sie.

Sechs Möbelläden tummeln sich auf den rund dreihundert Metern zwischen Potsdamer und Kluckstraße. Die meisten haben in diesem Jahr eröffnet. Die Entwicklung der Pohlstraße zur Straße mit Möbel- und Designgeschäften findet Gerlach gut. „Das wertet die Straße endlich mal ein bißchen auf.“ Sie selbst hat noch nie etwas in den Geschäften mit Namen wie „Ungewohnt“, „Licht“ oder „wohnmobil blau“ gekauft. Zu teuer sei das Angebot, und das gilt scheinbar nicht für sie allein. Wenn sie an den Geschäften vorbeiläuft, sind nur selten Kunden zu sehen. „Ich frage mich nur, wie sich die Läden halten.“

Robby Vosz, der Inhaber vom „Ungewohnt“ bucht den lauen Kundenstrom unter Anlaufschwierigkeiten ab. Seinen Laden gibt es erst seit Mai dieses Jahres. Früher gehörte ihm der Blumenladen schräg gegenüber. „Ich habe mir überlegt: Habe ich noch Platz in der Reihe oder nicht“, sagt er und meint damit seine Integration in die Designszene der Nachbarschaft.

Der Kontakt zwischen den Läden ist freundschaftlich. Konkurrenz ist sogar gewollt. „Schließlich“, so Vosz, „geht niemand in einer Straße Schuhe kaufen, in der nur ein Geschäft ist.“

Daß überhaupt möbel- und designinteressierte Kunden in die Pohlstraße kommen, garantiert „Schneller Wohnen“. Die Möbelkette, die intensiv Werbung macht, zieht Käufer aus allen Stadtteilen an. Wer sich für originelles Möbeldesign von der Stange interessiert, wird, so hoffen die Besitzer der kleinen Läden, auch mal einen Blick zu ihnen hineinwerfen.

Das Damoklesschwert einer hohen Miete ist für die Möbelgalerie „wohnmobil blau“ in der Pohlstraße 69 Grund genug, seit einem Jahr nicht nur aus reinem Idealismus Möbeldesigner vorzustellen, sondern damit auch Geld zu verdienen. Die Preise von Geschirr, Sitzkissen und Möbel sind auf den größeren Geldbeutel zugeschnitten, und der befindet sich nach Meinung von Inhaber Martin Streifer durchaus auch in nächster Nähe. „In der Pohlstraße wohnen immer mehr Singles, die hohe Mieten zahlen und den ganzen Tag arbeiten müssen, um sie bezahlen zu können“, witzelt er. Bislang hat die Yuppie-Nachbarschaft sein Geschäft jedoch noch nicht belebt. An einen dauerhaften Geschäftssitz in der Pohlstraße mag Streifer nicht so recht glauben. „Das ist hier Spekulationsgebiet, und wenn sich das nicht mehr rechnet, gehen wir eben wieder“, sagt Streifer. Vor kurzem etwa mußte das Möbelgeschäft „Batman“ an der Ecke zur Potsdamer Straße ausziehen, weil die Miete nicht mehr bezahlbar war. Nun baut Mc Donald's den Laden zu einem Schnellrestaurant um und das in nächster Nähe zur Berliner Geschäftszentrale des Fast- food-Konzerns, die im östlichen Teil der Pohlstraße Quartier bezogen hat.

Daß die Möbelmeile eine Heimat für ganz verschiedene Menschen ist, macht sich im „Phillis“ bemerkbar. Dort treffen sich nach Feierabend nicht nur die Besitzer der umliegenden Läden auf ein Bier, sondern auch Bewohner der Sozialbauten vis-à-vis. Zeitgleich mit der Ansiedlung von „Schneller Wohnen“, hat auch die Kneipe vor fünf Jahren ihre Pforten eröffnet, und damit die Wandlung des Geschäftslebens eingeläutet. Phillis- Betreiber Dieter Fenz hofft, daß sich der Kiez so, wie er ist, noch eine Weile hält. „Die Pohlstraße hat endlich eine Grundstruktur bekommen“, meint er. Die Sorge vieler Anwohner, die Meile werde irgendwann Teil eines Politikerviertels, teilt Fenz nicht. „Die Wohnungen sind doch gar nicht attraktiv genug, schon gar nicht die Sozialbauten.“ Die tristen 70er-Jahre- Kästen auf der Südseite scheinen ihm recht zu geben.

Den häßlichsten Teil der Pohlstraße bilden jedoch weniger die Sozialwohnungen als vielmehr das Haus mit der größten Tradition. Wie ein unförmiger Koloß ragt Möbel Hübner am Westende der Pohlstraße in den Himmel. Dort, wo auf dem tristen Parkplatz der Weihnachsmann für Stimmung sorgen soll, hat sich ein Familienbetrieb verewigt, der schon in den 30er Jahren Möbel verkaufte. Damals allerdings in der benachbarten Kluckstraße: Dort fertigte schon Großvater Hübner in einer winzigen Werkstatt Möbel nach Maß – offensichtlich mit Erfolg.

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