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Heilsame „Impfstriche“

Als Beitrag zur Gesundung des städtischen Organismus verstanden Architekten vor 40 Jahren die Grindelhochhäuser  ■ Von Ulrike Winkelmann

„Häßlich? Wieso häßlich?“ Die Grindelhochhäuser „haben schon was“, meint Johanna Albrecht, Chefin des Bekleidungsgeschäfts „Albrecht – ein Herz für Zierliche“ in der Hallerstraße 5f. Sie wohnt auch hier und schätzt die „zentrale Lage, die trotzdem nicht teuer ist“. Ihr Vater, Otto Albrecht, hat den Laden 1956 gegründet. Damals, sagt sie, hätten in den Grindelhochhäusern „gutsituierte Leute und Künstler“ gewohnt, die seien nun aber ausgezogen oder gestorben.

Die Grindelhochhäuser, hat ein taz-Architekturspezi vor Jahren geschrieben, seien das einzige Hamburger „Ensemble der Moderne mit Weltruf“. 1946 von der britischen Besatzungsmacht in Auftrag gegeben, hatte diese bald das Interesse daran verloren und das „Hamburg-Project“ dem Hamburger Senat überlassen. Ein Dutzend verschiedener Architekten waren bis zur Fertigstellung 1956 an der ersten Hochhaussiedlung Deutschlands beteiligt, die federführenden unter ihnen die Hamburger Berhard Hermkes, der erst küzlich verstarb, Rudolf Lodders und der Le-Corbusier-Schüler Ferdinand Streb.

Sie beschlossen, aus dem zerbombten, 13,3 Hektar großen Gelände zwischen Hallerstraße, Brahmsallee, Oberstraße und Grindelberg eine kleine Licht-, Luft- und Gartenstadt zu machen. Zwölf Blöcke des gehobenen sozialen Wohnungsbaus entstanden, sechs mit 15, sechs mit rund zehn Geschossen, 2120 Ein- und Zwei-, wenige Dreizimmerwohnungen für rund 6500 Menschen. Heute, sagt Hermann Boekholt, Pressesprecher des städtischen Wohnungsunternehmens Saga als Vermieterin, gibt es noch 1827 Wohnungen mit „rund zwei Personen pro Einheit“.

An „Impfstriche“ gemahnten die langen, in Nord-Süd-Richtung gezogenen Bauten den Architekten Lodders, die zur Gesundung des „Organismus“ der Stadt beitragen sollten. Viele Architekten verstanden die modernen Formen der Hochhäuser als Beitrag zur Entnazifizierung; andere fühlten sich allerdings durch die „Kiellinie“, in der die Blöcke angeordnet sind, an Kampfgeschwader erinnert.

Die neuartigen „Wohnmaschinen“, komplett mit Ladenzeilen, Wäscherei, Bücherhalle, Fahrstühlen und Sammelantennen wurden von den MieterInnen gut angenommen. Inzwischen finden viele der BewohnerInnen die Wohnungen zu klein, schätzen sie jedoch wegen der großen Fenster, auch wenn es im Sommer verdammt heiß dahinter werden kann.

Das soll anders werden: Nach mehr als 40 Jahren werden die Grindelhochhäuser derzeit erstmals von Grund auf modernisiert. Insgesamt 100 Millionen Mark investiert die Saga nach eigenen Angaben für Wärmedämmung, neue Elektroleitungen, Zentralheizungen, Dach- und Außenwandreparaturen, neue Aufzüge und vor allem Sanitäranlagen: Viele Wohnungen hatten, sofern die MieterInnen sich nicht selbst Kacheln und Wanne einbauten, bisher kein eigenes Badezimmer, sondern ein Sammelklo auf dem Flur oder im Keller. Während der etwa sechs Monate dauernden Modernisierungsarbeiten ziehen die MieterInnen in benachbarte Ausweichwohnungen um; die Kosten übernimmt die Saga.

„Als ich wiederkam, habe ich kaum meine Wohnung wiedererkannt“, schwärmt der Rentner Wilhelm Wichers, der seit 1951 am Grindelberg lebt. „Alles war wie neu.“ Auch die heutzutage winzig anmutenden Müllschütten, durch die keine müllgefüllte Alditüte paßt, waren verschwunden: Heute gibt es riesige Müllboxen im Hausflur. Mit den neuen Klingel- und Türsprechanlagen läßt sich neuerdings unliebsamer Besuch noch vor dem Betreten des Hauses abwimmeln. Für die Post dagegen müssen die MieterInnen künftig Treppen laufen oder Aufzug fahren: Die Briefschlitze in den Wohnungstüren wurden durch zentrale Briefkästen im Erdgeschoß ersetzt.

„Zu teuer, zu laut, zu altmodisch“, schimpft Mieterin Hilde B., die sich die Wohnung mit ihrem behinderten Sohn teilt und noch auf die Modernisierung wartet. Schon jetzt zahlt sie mehr als 800 Mark warm für 48 Quadratmeter, nach dem Umbau wird ihre Miete noch um ein paar Mark steigen. „Man kennt sich hier nicht, außer denen, die vielleicht direkt gegenüber wohnen – so ist das halt in Hochhäusern“, behauptet sie. Und grüßt alle Menschen, die ihr auf dem Fußweg zwischen den Blöcken entgegenkommen, aufs herzlichste.

„Wie ein Dorf ist das hier“, meint Schlachter Siegmund Prösch. Er hat den Laden im Erdgeschoß des Grindelhauses Hallerstraße 5 vor sieben Jahren von seinem Bruder übernommen. Rote-Grütze-Gläser sind auf dem Tresen zu Pyramiden arrangiert, und ähnlich wie in den Bekleidungsläden und der Bäckerei nebenan liegt auch über seiner feingekachelten Metzgerei ein Hauch der Fünfziger. „Viele Leute, die hier vor vierzig Jahren eingezogen sind, sind in diesen Blöcken alt geworden“, meint Prösch, „hier fehlen Familien mit Kindern.“

60 bis 70 Prozent der BewohnerInnen in den Grindelhochhäusern, hat die Saga ermittelt, sind älter als 60 Jahre. „Künftig“, sagt Sybille Köhlmann, Leiterin der Saga-Geschäftsstelle Eimsbüttel, „wollen wir aber die kleinen Einzimmerwohnungen, sobald sie frei werden, vor allem an Studenten vermieten.“

Michael Meyer, Hausmeister im Grindelberg 66, dem Bezirksamt Eimsbüttel, findet es schon jetzt ziemlich lebendig. „Im Sommer ist auf dem Vorplatz hier alles voll mit Skatern, die Kids machen Party ohne Ende.“ Übrigens sei er auch schon einmal mit einer Plastikpistole bedroht worden.

Eine Fahrt mit dem Paternoster zum 14. Stock, wo Bezirksversammlung und Eimsbüttler Ausschüsse tagen, führt durch pastellgetönte Stockwerke, die offenbar nachträglich mit den Songlines der australischen Ureinwohner verwandten Wandbildern verziert wurden. Als das „uninspirierendste Standesamt der Welt“ hat die als Trauzeugin angeheuerte Stefanie W. den Trauraum im Erdgeschoß bezeichnet: „Verehrte Hochzeitsgäste! Bitte streuen sie keinen Reis: Unfallgefahr!“

Ein „Bodengemälde in einer spezifischen Licht- und Raumsituation“ zeigt ab dem 14. Dezember eine Ausstellung von Birgit Jaenicke im 14. Stock der Hallerstraße 14f

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