■ Modernes Leben: Plattdeutsch lernen mit Radio Bremen: World Wide Web is'n groter Vördeel
Wir wissen nicht viel über Gary Schoening, Reinhard F. Hahn und Hauke Wiebe. Aber wir ahnen zumindest, daß ihnen bis vor kurzem etwas gefehlt hat zu ihrem Glück. Schoening arbeitet für die Firma Baker's Delite Inc. in Mineola, Iowa, Hahn ist an der Universität von Washington zugange und Wiebe an der im britischen Sheffield. In den vergangenen Wochen haben alle drei euphorische E-Mails an die Redaktion Melodie von Radio Bremen geschickt.
Die Briefeschreiber sind verzückt über „de Plattsnackers“, einen Sprachkurs, den die Medienarbeiter nicht nur ins Dritte Programm gerückt haben, sondern der auch im Internet zu verfolgen ist.
Daß das Lehrmaterial im Internet abrufbar ist, hat strategische Gründe. „Wir möchten das Plattdeutsche nicht in einer gemütlich- humorig tümelnden Ecke belassen“, sagt RB-Redakteurin Gesine Kellermann. Diese Entscheidung nützt emigrierten Dithmarschern wie Hauke Wiebe, der schon lange „auf der Suche nach einem Sprachkurs war“. Und der Washingtoner Plattdeutsch-Propagandist Reinhard F. Hahn läßt sich angesichts der zusätzlichen Verbreitungsmöglichkeiten sogar zu kühnen Visionen hinreißen: „Ik wil, dat det Nedderdüütsche in de hole Welt bekannt ward. Wi hebbt 'n aasigen Barg Arbeid vör de Nees, avers dat mit dat Internet und dat World Wide Web is nu'n groten Vördeel. Up düsse Wies' köönt wie de Lüüd in alle Welt up'n Dutt kriegen.“
Warum die weltweite Plattdeutsch-Offensive von Radio Bremen notwendig geworden ist, lassen die Worte von Gary Schoening aus Mineola, Iowa, erahnen: „Mineola ist eine kleine Stadt, aufgebaut von Leuten, die zwischen 1850 und 1890 überwiegend aus demselben Teil Holsteins kamen. Anfang des 20. Jahrhunderts gab es in der Kirche drei Gottesdienste auf deutsch und einen in Platt. Heute verstehen und sprechen es noch etwa 30 Leute, ich aber gehöre nicht dazu. Mein Vater hat ein dänisches Mädchen geheiratet, und Mama wollte nicht, daß Papa es zu Hause spricht, weil sie es nicht verstehen konnte.“
Nur noch etwa 30! Was für ein kultureller Verfall innerhalb so kurzer Zeit!
Angesichts dieser Schilderungen muß die Frage erlaubt sein, wie es zu Schoenings Jugendzeit um die Menschenrechte in den Vereinigten Staaten bestellt gewesen ist. Wie war es möglich, daß eine Dänin es einem Mann, in dessen Adern Holsteiner Blut fließt, verbieten konnte, seine Sprache zu sprechen? Skandalös auch, daß vor etwa 90 Jahren die Gottesdienste für die niederdeutschsprechende Bevölkerung abgeschafft wurden. Wie gut hätte es dem gottesfürchtigen Gary getan, wenn er vor dem Terror der plattdeutsch-feindlichen Dänin in der Kirche hätte Zuflucht suchen, ja dort vielleicht sogar seine Sprache lernen können!
Ist noch damit zu rechnen, daß die Amerikaner einlenken? Wohl kaum. Uns bleibt daher nichts anderes übrig, als an die plattdeutsch parlierenden Gottesdienstleister unter den Wahrheit-Lesern zu appellieren: Geht ins Internet! Und macht hinne! René Martens
„De Plattsnackers“ auf Radio Bremen 3; Lektion 2 (Wdh.), 15. Dezember, 12.45 Uhr; Lektion 6, 21. Dezember, 12.15 Uhr (fortlaufend 14tägig)
http://ww . radio bremen.de
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