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Die Pinien, das Meer!

Eine Ausstellung in Hagen erinnert an Sanary-sur-Mer, Zufluchtsort deutscher Schriftsteller vor den Nazis und auch ihre „Sommerfrische“  ■ Von Wilfried Weinke

In den Jahrzehnten der Ungestörtheit lebten die Bewohner vorwiegend voneinander und dem Export von Gemüse, Blumen und erstklassigem Fisch. Sie waren Landwirte, Fischer, Krämer, es gab ein, zwei Ärzte, den Notar, den Apotheker, die Postmeisterin, die Lehrerin, den Marineoffizier in Ruhestand, der mit Opium und seinen Büchern lebte, ab und zu verirrte sich ein skandinavischer Künstler in das Dorf.

Die Fischer fingen Sardinen, Langusten, Seebarben, Klippenbarsche und Lup de mer, ihre Frauen flickten gemeinsam Netze am Kai, im Winter in der Sonne, im Sommer Schatten suchend, ihre Kinder sammelten Seeigel und Muscheln.

Eine Beschreibung des beschaulichen Lebens des kleinen südfranzösischen Hafenstädtchens Sanary-sur-Mer, gültig für die Zeit um 1925. Nicht unbedingt eine Einladung für berühmte Autoren wie Lion Feuchtwanger, Thomas Mann oder Arnold Zweig. Und doch trafen sie sich dort, „an einem der ausrangiertesten Gleise des Weltgeistes“, wie Ludwig Marcuse Sanary einmal beschrieb.

Trafen? Nach dem Reichstagsbrand im Februar 1933 zur Flucht gezwungen, wurde Sanary für Wochen, Monate und Jahre zum Aufenthaltsort, zum Treffpunkt deutscher Emigranten, daher auch „Sanary-les-Allemands“ genannt. Obwohl das Exil keineswegs selbstgewählt war und trotz der finanziellen Not, die auf einigen Emigranten lastete, wurde Sanary in ihren Erinnerungen mit geradezu heimatlichen Gefühlen beschrieben.

So notierte Lion Feuchtwanger in seinem 1954 erschienenen Buch „Der Teufel in Frankreich“: „Ich habe während der sieben Jahre meines Aufenthalts an der französischen Küste des Mittelmeers die Schönheit der Landschaft und die Heiterkeit des Lebens dort mit allen Sinnen genossen. Wenn ich etwa von Paris mit dem Nachtzug kommend des Morgens das blaue Ufer wiedersah, die Berge, das Meer, die Pinien und Ölbäume, wie sie die Hänge hinaufkletterten, wenn ich die aufgeschlossene Behaglichkeit der Mittelmeermenschen wieder um mich fühlte, dann atmete ich tief auf und freute mich, daß ich mir diesen Himmel gewählt hatte, unter ihm zu leben.“

Auch Thomas Mann bekannte nach anfänglichem Naserümpfen in einem späteren Brief an René Schickele, „Heimweh nach Sanary“ zu haben. Es habe sich dort „ein anregender Kreis Deutschlandflüchtiger“ versammelt.

Ähnlich äußerte sich jenseits aller Spannungen, zum Teil auch Abneigungen untereinander, auch Arnold Zweig, wenn er 1935 rückblickend an Kurt Tucholsky schrieb: „Ich stelle fest, das Volk eines Schriftstellers sind die anderen Schriftsteller. In diesem Sinne hatten wir im Sommer '33 gute Zeiten: Heinrich Mann, Thomas Mann, Feuchtwanger, Schickele, Huxley, Brecht, Herzog, Kesten, Thomas Manns Kinder und ein Rudel junger und älterer Frauen. Und das alles in einer einheitlichen Erbitterung, einheitlich durch das Gefühl, einem geschlagenen, aber nicht besiegten Heere anzugehören, das schon ein paar Jahrtausende lang kämpft und noch ein paar Jahrtausende zu kämpfen haben wird.“

Hat man später Santa Monica respektive Pacific Palisades in Kalifornien wegen der Anwesenheit deutscher Schriftsteller als das „Weimar am Pazifik“ bezeichnet, so kann man Sanary-sur-Mer, dem Wort Ludwig Marcuses folgend, getrost als „Hauptstadt der deutschen Literatur“ bezeichnen.

Insbesondere wenn man sich vergegenwärtigt, welche nicht nur für die Exilliteratur wichtigen Bücher und Schriften dort entanden sind oder begonnen wurden: Thomas Mann arbeitete an dem Roman „Joseph und seine Brüder“; Erika Mann beendete hier ihr Kinderbuch „Muck, der Zauberonkel“; René Schickele schrieb hier den Roman „Die Witwe Bosca“ und Lion Feuchtwanger seinen Roman „Die Geschwister Oppenheim“; der noch 1933 bei Querido in Amsterdam erschien. Arnold Zweig diktierte seiner Sekretärin seinen Essay „Bilanz der deutschen Judenheit 1933“; Hermann Kesten arbeitete an seinem Roman „Der Gerechte“, und Klaus Mann bereitete von Sanary aus die Gründung der Zeitschrift Die Sammlung vor.

Konnte Martha Feuchtwanger 1934 die Großzügigkeit der Behörden noch lobend erwähnen, wenn sie schrieb, daß man dort „eben Kurgast und nicht Emigrant wäre“, so änderte sich diese Situation mit Kriegsbeginn. Obwohl als Antifaschisten bekannt, wurden sie nun als feindliche Ausländer betrachtet. 1940 internierte man die Männer in dem berüchtigten Internierungslager Les Milles, einer ehemaligen Ziegelei bei Aix-en-Provence, die Frauen in dem Lager Gurs am Nordrand der Pyrenäen.

Alfred Kantorowicz resümierte: „[...] die Fremdenhetze in Frankreich nahm Formen an, deren gute Franzosen sich heute noch schämen, wenn sie daran erinnert werden. Es war ein Zeichen von Schwäche, das die erstaunliche Niederlage schon vorwegnahm. Da man nicht gegen den äußeren Feind kämpfen wollte, so lenkte man die Öffentlichkeit mit einer Art Pogromhetze gegen die ,Fremden‘ ab.“

Spätestens nach dem Waffenstillstand zwischen Frankreich und Deutschland versuchten die deutschen Schriftsteller, das Land zu verlassen – nach langem Warten per Schiff von Marseille oder zu Fuß auf abenteuerlichen Wegen über die Pyrenäen. Auch in Sanary, das Erika und Klaus Mann in ihrem 1931 veröffentlichen Führer „Das Buch von der Riviera“ als „die erklärte große Sommerfrische des Café du Dôme“, des Pariser Literatencafés, vorgestellt hatten, wurde das Leben jetzt trostlos.

Eine Ausstellung über Sanary-sur- Mer als Exilort ist noch bis 10. Januar in der Fernuniversität Hagen zu sehen.

Zum Thema ist jüngst erschienen: Manfred Flügge: „Wider Willen im Paradies. Deutsche Schriftsteller im Exil in Sanary-sur-Mer“. Aufbau Taschenbuch Verlag, 163 Seiten, 16,90 DM

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